Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Atemzug nicht mehr genügend Zeit gewesen. Schwarze Kreise drehten sich in ihrem Kopf, als Ayla endlich den Wasserspiegel durchbrach und das Kind an den Haaren nach oben zerrte. Sie hob Onas Kopf aus dem Wasser, doch wie leblos schwankte der hin und her. Noch nie war Ayla mit einer Last im Arm geschwommen. Doch Ona musste man so rasch wie mö glich an Land bringen und darauf achten, dass ihr Kopf über Wasser blieb. Mit einem Arm ruderte Ayla vorwärts, während sie im anderen das Kind hielt.
Als das Mädchen endlich festen Boden unter den Füßen spürte, sah es, wie der ganze Clan ihr entgegenstürzte. Sie hob Onas schlaffen kleinen Körper aus dem Wasser und übergab ihn Droog. Und jetzt erst spürte sie, wie die Knie ihr zitterten und die schwarzen Kreise ihr Hirn durchrasten. Creb stand schon an ihrer Seite, und als sie mühsam aufblickte, sah sie mit Erstaunen, dass auf der anderen sich Brun befand. Droog rannte voraus, und als Ayla sich schließlich ermattet in den Sand fallen ließ, hatte Iza das kleine Mädchen schon niedergelegt und drückte ihm das Wasser aus dem Leib.
Iza wusste, was zu tun war. Dies war nicht das erste Mal gewesen, dass einer aus dem Clan beinahe ertrunken wäre; schon einige waren den gierigkalten Fluten zum Opfer gefallen. Heute aber war ihnen ihre Beute wieder entrissen worden. Ona fing plötzlich an zu husten und zu spucken, Wasser rann aus ihrem Mund, und ihre Augenlider flatterten.
"Mein Kind! Mein Kind!" schrie Aga und warf sich zu Boden. Sie umklammerte das kleine Mädchen und hielt es fest.
Droog nahm das Kind aus dem Schoß der Mutter und trug es zur Lagerstätte zurück. Entgegen dem Clan-Brauch rannte Aga neben ihm her, und immer wieder fuhr sie über Wangen und Stirn ihres Kindes, das sie schon verloren geglaubt hatte.
Ungläubige, fragende Blicke folgten Ayla, als sie an den Clan-Leuten vorüberging. Niemand war jemals gerettet worden; wen die Fluten erfasst hatten, den gaben sie nicht wieder her. Es war höchst wundersam, dass Ona lebend zurückgekehrt war. Nie wieder würde man Ayla bespötteln, wenn sie dieses befremdliche Schwimmen betriebe. Sie hat das Glück auf ihrer Seite, nickten sich die Leute zu. Hat sie nicht immer Glück gehabt? Hat nicht sie die Höhle entdeckt?
Die Fische lagen noch immer in einem zuckenden Haufen am Strand. Einigen war es gelungen, sich ins Wasser zurückzuschnellen, doch die meisten hingen noch im Netz. Schlugen mit den Schwanzflossen wild um sich, denn sie wussten, dass die Luft sie töten würde.
Jetzt machten sich die Clan-Leute daran, sie weiter heraufzuziehen. Mit ihren Keulen schlugen die Männer auf die Köpfe der Fische ein, bis diese sich nicht mehr rührten. Die Frauen begannen, sie auszunehmen und zu säubern.
"Ho!" schrie Ebra laut und deutete auf den Bauch eines riesigen weiblichen Störs, den sie gerade aufgeschlitzt hatte.
Alle rannten zu ihr hin.
Schon wollte Vorn sich eine Handvoll der winzigen, weichen, schwarzen Eier nehmen. Denn zum Brauch war es geworden,
dass beim ersten weiblichen Stör, der im Frühling gefangen wurde, alle kräftig zulangten und sich am Rogen gütlich taten, bis sie nicht mehr konnten. Was dann noch übrig blieb und was aus späteren Fängen hinzukam, wurde eingesalzen und auf Vorrat genommen, aber so gut wie frisch aus dem Fisch schmeckte der Rogen nie mehr.
Ebra hielt die Hand des Jungen fest und winkte Ayla. "Ayla, nimm du zuerst", forderte sie das Mädchen auf. Sie sah sich unsicher um.
"Ja, Ayla, du zuerst", bedeuteten ihr nun auch alle anderen.
Das Mädchen blickte auf Brun. Der nickte zustimmend. Scheu trat sie vor und nahm sich eine Handvoll von dem glänzenden schwarzen Rogen. Dann richtete sie sich auf und hob beide Hände an den Mund. Ebra gab ein Zeichen, und nun stürzten sich alle auf den Fisch, um sich ihren Anteil zu holen.
Langsam ging Ayla zurück zum Unterschlupf. Sie wusste, dass man ihr eine Ehre erwiesen hatte. In kleinen, bedächtigen Happen verkostete sie die winzigen Eier des großen Knorpelschmelzschuppers.
Die Frauen hatten die Fische nun zu säubern, einzusalzen und zu dörren. Außer den scharfen Flintsteinmessern, mit denen sie die Fische aufschlitzten und zerteilten, besaßen sie ein besonderes Gerät zum Abschaben der Schuppen. Es war ein Messer, am hinteren Ende abgestumpft, so dass man es gut in der Hand halten konnte, und an der scharfen Spitze mit einer Einkerbung versehen, in die der Zeigefinger zu legen war, um das Messer besser führen zu können.
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