Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
dass sie so bald von uns ging, nachdem sie unsere Mutter geboren hatte, und in das Reich der Geister kam. Sie und auch der Mog- ur vor mir haben selbst von diesem Mann erzählt, der eine Weile blieb, nachdem er wieder laufen konnte. Er jagte mit dem Clan; muss ein guter Jäger gewesen sein, denn er durfte sogar an einem Jagdfest tanzen. Ja, es ist wahr, es sind Menschen - Erdlinge wie wir - aber sie sind anders."
Der Mog- ur ließ den Arm sinken. Iza war viel zu scharfsinnig, als dass er ohne Preisgabe seiner Stellung weitermachen konnte, denn für Iza wäre es leicht gewesen, sich ein Bild von den geheimen Ritualen der Männer zu machen.
Crebs Schwester prüfte noch einmal den Inhalt ihrer Schüsseln, dann legte sie den Kopf des Kindes in ihren Schoß und flößte ihm in winzigen Schlucken das Gebräu aus der Beinschüssel ein. Das Kind murmelte abgerissene Worte und versuchte, sich gegen das Bittere in seinem Munde zu wehren, aber sein ausgehungerter Körper gierte nach Nahrung. Iza hielt das Mädchen solange im Schoß, bis es in einen tiefen Schlaf sank, tastete prüfend nach der Kleinen Herz, das jetzt gleichmäßiger schlug, legte ihr Ohr an den Mund des Kindes und hörte, wie die Luft ruhig ein- und ausging. Sie hatte getan, was in ihrer Macht stand. Wenn der Tod dem Kind nicht schon zu nahe war, gab es Hoffnung; nur noch die Geister konnten helfen.
Iza sah, wie Brun sich zu ihr auf den Weg machte. Missvergnügt schaute er zu ihr, so dass sie hastig aufsprang und den Frauen zur Hand ging. Seit seiner Entscheidung hatte er nicht mehr an das fremde Kind gedacht, jetzt aber stiegen in ihm düstere Bilder auf. Zwar war es Sitte, die Augen abzuwenden, wenn andere miteinander sprachen, aber es war wirklich augenfällig, was den Clan bewegte. Die Verwunderung der ihm Anvertrauten über die Erlaubnis Iza gegenüber, das Kind mitzunehmen, weckte nun auch in ihm ein Gefühl der Unsicherheit, und es regte sich die Furcht, dass der Zorn der Geister durch den Findling noch genährt werden könnte. Dies wollte er seiner Schwester klarmachen und zu ihr hinübergehen, als Creb ihn zurückhielt.
"Was gibt's, Brun? Dein Gesicht ist voll Sorge."
"Iza muss das Kind hier lassen, Mog- ur. Es gehört nicht zum Clan. Die Geister zürnen, wenn es bei uns ist und wir nach einer neuen Höhle suchen. Ich hätte Iza nicht erlauben sollen, es mitzunehmen."
"Nein, Brun", entgegnete der Mog-ur. "Schutzgeister werden durch Güte nicht erzürnt. Du kennst Iza. Sie kann es einfach nicht ertragen, ein Geschöpf leiden zu sehen, ohne zu versuchen, ihm zu helfen. Und die Geister kennen sie doch auch. Wenn sie nicht wünschten, dass Iza dem Kind hilft, dann hätten sie es ihr nicht auf den Weg gelegt. Das Kind mag vielleicht dennoch sterben, Brun, aber wenn der Große Bär es in die Welt der Geister rufen will, dann lass das seine Entscheidung sein. Rühre du jetzt nicht daran. Das Kind wird sterben, wenn wir es zurücklassen."
Brun war noch nicht überzeugt; etwas an dem Kind machte ihn unruhig. Doch er unterwarf sich des Mog-urs größerem Wissen um die Geister und ihr Reich und gab Ruhe.
Nach dem Verzehr hockte Creb in Schweigen versunken da und wartete auf die anderen, bis auch sie fertig waren; erst dann würde er mit den allabendlichen Beschwörungen der Geister beginnen. Inzwischen richtete Iza für den Bruder den Schlafplatz und bereitete einiges für den nächsten Tag. Der Mog- ur hatte bestimmt, dass Männer und Frauen nicht Leib an Leib liegen durften, solange keine neue Höhle gefunden war, damit die Manneskraft den Ritualen gelte und allen das Gefühl gegeben wurde, sie leisteten etwas, das sie einer neuen Heimstatt näher brachte.
Iza berührte das nicht sonderlich. Sie hatte einen Gefährten gehabt - er war bei dem Einsturz der Höhle ums Leben gekommen - und bei seiner Bestattung mit dem üblichen Schmerz um ihn getrauert; es hätte Unglück gebracht, anders zu handeln; aber sie war nicht betrübt über seinen Tod, denn er war grausam gewesen und nie Zufriedenzustellen. Zuneigung hatte es zwischen ihnen nie gegeben, und sie wusste nicht, was Brun über sie beschließen würde, jetzt, wo sie allein war. Denn jemand würde für sie und das Kind, das sie in sich trug, sorgen müssen. Für Creb hätte sie gerne weitergekocht.
Er hatte von Anfang an ihr Feuer geteilt und zu verstehen gegeben, dass er ihren Gefährten ebenso wenig mochte wie sie, wen" er sich auch niemals in die Schwierigkeiten ihrer Verbindung eingemischt hatte. Schon
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