Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Der Zauberer wartete, bis alle Männer sich gesetzt hatten. Nach einer Weile trat er in die Mitte des Steinkreises, in der Hand einen brennenden Stab wohlriechenden Holzes. An der Stelle, wo nur sein Stock im Boden stak, drückte er die kleine Fackel in die Erde.
Hochaufgerichtet stand er in der Mitte des Kreises. Über die Köpfe der sitzenden Männer hinweg sah er mit träumerischem, schwimmendem Blick in dunkle Fernen, als schaute er mit seinem einen Auge eine Welt, für die anderen nie zu erblicken. Mit seinem schweren Umhang aus der Haut des Höhlenbären war er eine fast beängstigende und seltsam unwirkliche Gestalt. Ein Mensch und doch kein Mensch, mit seinem zerschundenen Körper und dem entstellten Gesicht; nicht mehr und nicht weniger, einfach anders. Aber gerade seine Missgestalt verlieh ihm etwas Übernatürliches, das niemals ehrfurchtgebietender wirkte als in solchen Augenblicken.
Plötzlich brachte er mit einer blitzschnellen Handbewegung einen Schädel zum Vorschein. Mit dem kräftigen linken Arm hielt er ihn hoch über seinen Kopf und drehte sich langsam im Kreis, so dass ein jeder die klobige, hoch aufgewölbte Form sehen konnte. Der Schädel des Bären! Die Männer starrten ihn an, der im flackernden Fackellicht weiß leuchtete. Der Mog- ur setzte ihn vor der kleinen Fackel auf den Boden, ließ sich dahinter nieder und schloss den Kreis.
Ein junger Mann, der neben ihm saß, erhob sich und griff nach einer Holzschale. Goov hieß dieser, der, man hatte kurz vor dem Erdbeben ihn feierlich zum Manne gemacht, schon als Junge zum Gehilfen des Mog- ur bestimmt war und diesem schon oft bei seinen Vorbereitungen geholfen hatte. Doch erst jetzt war es ihm erlaubt, an den Kulthandlungen selbst teilzunehmen. Bevor sie aufgebrochen waren, eine neue Höhle zu suchen, hatte er es zum ersten Mal gedurft.
Für Goov würde der Einzug in eine neue Höhle von besonderer Bedeutung sein, denn hierbei könnte er dem großen Mog-ur selbst über die Schulter sehen und sich die Feinheiten einprägen, die zu diesen selten vorgenommenen und schwer zu beschreibenden heiligen Handlungen gehörten. Als Kind war ihm der Zauberer furchtbar erschienen, wenn er auch gespürt hatte, dass es zur Ehre gereichte, erkoren zu werden. Seitdem hatte der junge Mann nach und nach erfahren, dass der Krüppel nicht nur der hellsichtigste Mog-ur war, den er kannte, sondern dass sich hinter seiner herben Strenge auch etwas Gütiges und Sanftes verbarg. Deshalb achtete Goov ihn als Vorbild und liebte ihn.
Vorhin, als Brun Befehl zum Halten gegeben hatte und ihm die untergehende Sonne gerade noch genügend Licht hinterließ, hatte der junge Mann den Trank zubereitet, der sich jetzt in der Kultschale befand. Zwischen zwei Steinen musste man zu nächst ganze Daturapflanzen zerstampfen. Und dann kam das Schwierige, nämlich Menge und Verhältnis von Blättern und Stängeln und zu Blüten richtig abzuschätzen. Danach war kochendes Wasser darüber zu gießen, und dann hatte das Gebräu so lange zu ziehen, bis die heilige Handlung begann.
Unmittelbar bevor der Mog-ur in den Kreis getreten war, hatte Goov den starken Daturasud über seine gespreizten Finger gegossen und in die Kultschale fließen lassen und erhoffte ängstlich das zustimmende Nicken des Zauberers. Goov hielt die Schale, während der Mog- ur einen kleinen Schluck nahm, beifällig nickte und dann trank. Erleichtert und stolz vor Freude trug Goov, der Rangordnung der Männer folgend, die Schale reihum. Zuerst zu Brun. Jedem hielt er das Gefäß an den Mund, bestimmte die Menge, die zu trinken war, und leerte als letzter die Schale.
Der Mog-ur wartete, bis sein Gehilfe sich gesetzt hatte; dann gab er das Zeichen. Mit den stumpfen Enden ihrer Speere begannen die Männer rhythmisch auf den Boden zu klopfen. Das stetige dumpfe Pochen der Speere steigerte sich, bis kein anderes Geräusch mehr zu hören war. Das dröhnende Auf und Ab der Speerschäfte bannte die Hirne der Männer, die plötzlich aufsprangen und sich hin und her bewegten, bis auf den Zauberer, der unverwandt auf den Schädel starrte. Sein brennender Blick zwang die Augen der Männer auf den heiligen Bärenschädel. Als die Gesichter der Männer in zitternder Erregung sich verzerrten und auf ihren Körpern Wasserperlen funkelten, blickte Creb zu seinem Bruder, dem Mann, der den Clan führte, und jetzt vor dem Schädel niedersank.
"Geist des Bisons, Zeichen des Brun", begann der Mog-ur und vollführte mit der einen Hand eine rasche
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