Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Morgennebel gehalten. Die aufsteigende Sonne löste die noch übriggebliebenen Tiefnebel auf und bewirkte eine ungewöhnliche Luftfeuchtigkeit in der Steppe. Die Rentiere waren andere Paarzieher durchaus gewohnt und achteten weiter nicht auf Winnie und ihre menschliche Last, solange sie ihnen nicht zu nahe kamen.
Während sie sie beobachtete, dachte Ayla an die Jagd. Wenn die Hirsche den Kühen folgen, müßten sie eigentlich bald hier durchziehen. Vielleicht könnte ich ein junges männliches Ren erlegen; immerhin weiß ich ja jetzt, welchen Weg sie nehmen werden. Nur hilft mir das wenig, wenn ich nicht nahe genug an sie herankomme, um meinen Speer zu schleudern. Vielleicht sollte ich wieder eine Fallgrube graben. Nur würden sie zu beiden Seiten ein wenig ausweichen, um ihr aus dem Weg zu gehen, und genug Strauchwerk, um einen Zaun zu bauen, über den sie nicht hinüberspringen könnten, gibt es hier auf der Steppe einfach nicht. Vielleicht, daß eines hineinstürzt, wenn es mir gelingt, sie in Panik zu versetzen.
Und wenn das geschieht – wie bekomme ich es dann heraus? Ich möchte nicht noch einmal ein Tier auf dem Grund einer Fallgrube ausweiden und zerlegen müssen. Wenn ich nicht alles zurückschaffen kann zur Höhle, muß ich das Fleisch eben hier an Ort und Stelle trocknen.
Die Frau und ihr Pferd folgten der Herde den ganzen Tag und legten unterwegs nur hier und da eine kurze Rast ein, um zu essen und sich auszuruhen; das ging solange, bis die Wolken am tiefblauen Himmel sich rosa färbten. Soweit wie heute war sie noch nie in den Norden vorgestoßen. Das ganze Gebiet war ihr unbekannt. Aus der Ferne hatte sie Vegetation gesehen, und als im schwindenden Licht der Himmel sich violett färbte, sah sie, wie sich die Farbe jenseits eines Dickichts spiegelte. Die Rentiere bildeten eine einzige Reihe, um durch schmale Öffnungen im Dickicht an das Wasser eines mächtigen Stroms heranzukommen, an dessen seichtem Ufer sie sich verteilten, um zu trinken, ehe sie hinübergingen.
Graues Zwielicht nahm dem Grün auf der Erde alle Frische, während der Himmel erglühte, als ob die nächtens gestohlenen Farben um so strahlender zurückgegeben würden. Ayla fragte sich, ob es wohl derselbe Fluß sei, den sie nun schon mehrere Male überquert hatte. Anstelle mehrerer Arme, Bäche oder Flüsse, die alle in einen größeren Strom einmünden, war es häufig ein und derselbe Fluß, der überquert werden mußte, wenn er sich über das Grasland schlängelte und in Schleifen gleichsam wieder zurückfloß und sich in mehrere Seitenarme aufteilte. Wenn ihre Orientierung stimmte, konnte sie, sobald sie erst einmal auf dem anderen Ufer wäre, ihr Tal erreichen, ohne einen größeren Wasserlauf überqueren zu müssen.
Die an Flechten äsenden Rentiere schienen sich am gegenüberliegenden Ufer für die Nacht niederzulassen. Ayla beschloß, es ihnen gleichzutun. Der Rückweg war lang, und sie mußte den Fluß an derselben Stelle überqueren. Nur wollte sie nicht naß werden und Gefahr laufen, sich jetzt, wo es Nacht wurde, womöglich zu erkälten. Sie ließ sich vom Pferd herabgleiten, nahm diesem die Tragkörbe ab und ließ Winnie frei laufen, während sie ihr Lager aufschlug. Mit Feuerstein und Eisenpyrit brannten Treibholz und trockenes Strauchwerk bald lichterloh. Nach einer Mahlzeit aus stärkehaltigen, in grüne Blätter eingewickelten und darin gerösteten Erdnüssen und einem mit vielerlei Kräutern gestopften und dergestalt gebratenen Riesenhamster stellte sie ihr kleines Zelt auf. Ayla pfiff das Pferd heran. Sie wollte es in der Nähe haben. Dann kroch sie in ihren Schlafpelz und steckte den Kopf zur Zeltöffnung hinaus.
Die Wolken hatten sich vor den Horizont gelagert. Über ihnen standen die Sterne so dicht, daß es schien, als ob irgendein unsäglich strahlendes Licht durch die gesprungene und löchrige schwarze Barriere der Nacht herunterstrahlte. Creb sagte, es seien Feuer am Himmel, sann sie, Herdstellen der Geisterwelt und auch Herdstellen von Totemgeistern. Ihre Augen tasteten den Himmel ab, bis sie jenes Bild fanden, das sie suchten.
Das ist die Heimat des Großen Bären, und darüber kommt gleich mein Totem, der Höhlenlöwe. Merkwürdig, daß sie über den Himmel ziehen können, ohne daß das Bild sich verändert. Ich möchte mal wissen, ob sie wohl auf die Jagd gehen und dann heimkehren in ihre Höhle.
Ich muß unbedingt ein Rentier erlegen. Am besten beeile ich mich, denn die Hirsche werden den Kühen bald
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