Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Frau immer noch nicht, ja, konnte sie sich einfach nicht vorstellen, über welche Fülle von Vorteilen sie jetzt gebot.
Zu Anfang brachte Ayla ihre Beute so heim, wie sie es immer getan hatte: in einer Kiepe, die sie sich auf den Rücken schnallte. Von da aus war es ein leichter Schritt, das erlegte Tier quer vor sich auf Winnies Rücken zu legen. Der nächste logische Schritt bestand darin, eigens für die Jungstute einen Korb zu flechten. Es bedurfte nur etwas größeren Kopfzerbrechens, ehe sie auf den Gedanken kam, zwei Körbe zu flechten und diese an einem Gurt, den sie dem Pferd um den Leib schlang, zu befestigen. Doch nach der Einführung des zweiten Korbes dämmerte ihr allmählich, wie vorteilhaft es für sie sein könnte, die Kraft ihres vierbeinigen Freundes einzuspannen. Zum erstenmal in ihrem Leben brachte sie eine Last in ihre Höhle, die größer war, als sie allein tragen konnte.
Nachdem sie jedoch begriffen hatte, was sie mit Hilfe des Pferdes alles schaffen konnte, änderten sich ihre Methoden. Ihr gesamtes Leben veränderte sich. Sie blieb länger draußen, ritt weiter fort und kehrte mit mehr Gerät, Pflanzenmaterialien oder Kleintieren auf einmal zurück, als es ihr bisher möglich gewesen war. Die folgenden Tage brachte sie dann damit zu, die Ergebnisse ihrer Ausritte zu verarbeiten.
Nachdem sie bemerkt hatte, daß die wilden Erdbeeren reiften, ritt sie ein riesiges Gebiet ab, um so viele zu finden, wie möglich. So früh im Jahr gab es nur wenige reife, und diese wenigen wuchsen auch noch weit auseinander. Es war nahezu dunkel, als sie sich auf den Heimweg machte. Sie besaß ein scharfes Auge für auffällige Merkmale in der Landschaft, und das war auch nötig, um sich nicht zu verirren. Doch diesmal wurde es vorm Erreichen des Tals so dunkel, daß sie nichts mehr sehen konnte. Als sie sich in der Nähe der Höhle befand, verließ sie sich auf Winnies Instinkt, sie heimzutragen, und auf späteren Ausritten überließ sie es häufig ihrem Pferd, den Weg zurückzufinden.
Später nahm sie dann ihren Schlafpelz immer mit – für alle Fälle. Dann beschloß sie eines Abends, draußen auf der offenen Steppe zu übernachten, denn es war bereits spät geworden und sie meinte, eine Nacht unter freiem Himmel könnte ihr durchaus wieder einmal Spaß machen. Sie zündete ein Feuer an, doch neben Winnie in ihren Pelz gewickelt, brauchte sie es der Wärme wegen eigentlich gar nicht. Das Feuer diente nur noch dazu, die Nachttiere von ihr fernzuhalten. Steppentiere reagieren höchst empfindlich auf Rauchgeruch. Steppenbrände wüteten manchmal tagelang und vernichteten alles, was ihnen in den Weg kam.
Nach dem ersten Mal fiel es ihr leichter, ihrer Höhle fortan einen oder auch zwei Tage hintereinander fernzubleiben. So erforschte Ayla ausgiebig das Gebiet östlich des Tals.
Wenn sie es sich selbst gegenüber auch nicht recht eingestehen wollte, im Grund hielt sie Ausschau nach den Anderen – immer in der Hoffnung, sie zu finden, immer voller Bangen darauf gefaßt, es einmal wirklich zu tun. In gewisser Hinsicht stellte es den Versuch dar, die Entscheidung, das Tal zu verlassen, hinauszuschieben. Sie wußte genau, daß sie bald mit den Vorbereitungen dazu anfangen müßte, falls sie ihre Suche wiederaufnehmen wollte, nur – das Tal war ihr zur Heimat geworden. Sie wollte einfach nicht fort, und außerdem machte sie sich immer noch Winnies wegen Sorgen. Schließlich wußte sie nicht, was die unbekannten Anderen dem Pferd womöglich antaten. Wenn es im Umkreis ihres Tals Lebewesen ihrer Art gab, vielleicht gelang es ihr dann zu Pferde, sie als erste zu erkennen und sie erst zu beobachten und etwas über sie in Erfahrung zu bringen, ehe sie sich zu erkennen gab.
Die Anderen, das waren ihre Leute, nur hatte sie keinerlei Erinnerung an ihr Leben, ehe sie im Clan aufgenommen worden war. Sie wußte, daß man sie ohnmächtig an einem Fluß liegend gefunden hatte, halb verhungert und mit schwärenden Wunden von den Krallen eines Höhlenlöwen. Sie war dem Tod nahe, als Iza sie aufnahm und auf ihrer Suche nach einer neuen Höhle mit sich herumschleppte. Doch wann immer sie versuchte, sich an irgend etwas aus ihrem früheren Leben zu erinnern, befiel sie Übelkeit und Angst sowie das unbehagliche Gefühl, die Erde, auf der sie stand, bebe.
Das Erdbeben, das ein fünfjähriges Kind allein in die Wildnis hinausgeschleudert und seinem Schicksal – und dem Mitleid von Lebewesen, die so ganz anders waren –
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