Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Mog-ur ihnen ihr Totem enthüllte. Für gewöhnlich wurde das Totem beim Namen genannt, wenn man noch ein kleines Baby war; Ayla war jedoch bereits fünf, als sie erfuhr, wie das ihre hieß. Creb hatte es ihr verkündet, bald nachdem Iza sie gefunden und man sie im Clan aufgenommen hatte. Ayla fuhr mit den Fingerkuppen über die vier Narben an ihrem Bein und betrachtete einen anderen Gegenstand: die Versteinerung einer Schnecke.
Zwar sah sie aus wie die Schale eines Krustentiers aus dem Meer, dabei war es aus Stein – das erste Zeichen, das ihr Totem ihr geschickt hatte, um ihr zu zeigen, daß es ihren Entschluß, mit der Schleuder zu jagen, billigte. Nur Raubtiere freilich, keine Tiere zum Essen; denn die hätten nur verderben können, da sie sie ja nicht mit zur Höhle hatte zurückbringen können. Raubtiere waren jedoch stärker und gefährlicher als die anderen, und an ihnen zu lernen, hatte ihr zu größtem Können auf diesem Gebiet verholfen. Als nächstes nahm Ayla ihren JagdTalisman zur Hand, ein kleines Stück ockergefärbter Stoßzahn vom Mammut, das Brun persönlich ihr anläßlich jener schreckenerregenden und faszinierenden Zeremonie geschenkt hatte, durch die sie zur ›Frau, Die jagt‹ geworden war. Sie berührte die winzige Narbe an ihrem Hals, die Creb ihr beigebracht hatte, um Blut von ihr zu bekommen, das den Alten zum Opfer gebracht worden war.
Das nächste besaß eine ganz besondere Bedeutung für sie und hätte sie beinahe wieder zum Weinen gebracht. Was sie in der Hand hielt, waren die drei schimmernden, zusammengewachsenen Glimmerstücke, die sie fest in ihrer Faust hielt. Sie hatten ihr Totem ihr gegeben, um ihr zu verstehen zu geben, daß ihr Sohn leben werde. Das letzte war ein dunkles Stück Mangandioxid. Der Mog-ur hatte es ihr zusammen mit einem Stück des Geistes eines jeden Clansangehörigen gegeben, als sie zur Medizinfrau gemacht worden war. Jetzt kam ihr unversehens ein Gedanke, der sie beunruhigte. Bedeutete das, daß Broud, als er sie verfluchte, damit alle verflucht hatte? Als Iza gestorben war, hatte Creb die Geister wieder zurückgeholt, damit sie sie nicht mitnehmen konnte in die Geisterwelt. Mir hat sie niemand wieder abgenommen.
Eine dunkle Vorahnung beschlich sie. Seit jenem ClanTreffen, auf der Creb auf irgendeine unerklärliche Weise erfahren hatte, daß sie anders war als die anderen, hatte sie bisweilen diese merkwürdige Orientierungslosigkeit verspürt, gleichsam als ob er eine andere aus ihr gemacht hätte. Sie verspürte ein Kribbeln und Jucken, ihr wurde flau im Magen und sie bekam eine Gänsehaut. Eine tiefe Besorgnis machte sich in ihr breit darüber, was ihr Tod für den gesamten Clan bedeuten könnte.
Sie bemühte sich, dieses Gefühl abzuschütteln. Sie nahm das Lederbeutelchen zur Hand und tat die Sachen zurück; dann fügte sie das Bergkristall hinzu. Sie verknotete das Amulett wieder und suchte den Riemen nach Abnutzungsspuren ab. Creb hatte ihr gesagt, sie würde sterben, falls sie das Amulett jemals verlöre. Als sie es sich wieder um den Hals hängte, fiel ihr ein ganz leichter Gewichtsunterschied zu vorher auf.
Da sie so allein am steinigen Ufer saß, sann Ayla darüber nach, was wohl mit ihr geschehen sein mochte, ehe man sie gefunden hatte. Sie konnte sich an nichts aus ihrem Leben vor diesem Zeitpunkt erinnern; nur daß sie irgendwie anders war, wußte sie. Zu groß, zu blaß, das Gesicht nicht so wie bei den anderen Clansangehörigen. Sie hatte ihr Spiegelbild in einem stillen Teich erblickt: Sie war häßlich. Das hatte Broud ihr oft genug unter die Nase gerieben; außerdem fanden alle das. Sie war eine große, häßliche Frau; kein Mann begehrte sie.
Nur habe ich auch nie einen von ihnen haben wollen, dachte sie. Iza hat gesagt, ich bräuchte einen Mann für mich; aber ob ein Mann von den Anderen mich mehr haben will als einer vom Clan? Keiner will eine große häßliche Frau. Vielleicht ist es ebenso gut, einfach hierzubleiben. Woher soll ich wissen, daß ich einen Gefährten finde, selbst wenn ich die Anderen finde?
4
Jondalar duckte sich und beobachtete durch einen Vorhang aus hohem goldgrünen, unter der Last noch unreifer Samenrispen gebeugten Gras die Herde. Der Pferdegeruch war stark, freilich nicht, weil der trockene Wind ihm ihren strengen Schweißgeruch ins Gesicht blies, sondern weil er sich über und über mit reifem Dung eingeschmiert hatte und etwas davon sogar in den Achseln eingeklemmt hielt, um seinen eigenen Geruch zu
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