Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Zwar konnte sie darin stehen, wohl aber mit der Hand den oberen Rand erreichen. Beim Eingang war der Boden abschüssig, wurde dann jedoch eben. Vom Wind hereingetragener Lößstaub und die Hinterlassenschaften von Tieren, die in der Vergangenheit hier gewesen waren, hatten eine Schicht weichen Bodens entstehen lassen. Ursprünglich uneben und felsig, bildete jetzt eine trockene, festgetretene Erdschicht den Boden der Höhle.
Als sie vorsichtig umherspähte, konnte sie kein Anzeichen dafür entdecken, daß die Höhle in letzter Zeit bewohnt gewesen wäre. Lautlos schlüpfte sie hinein und merkte sofort, wie kühl es hier drinnen war, verglichen mit draußen. Sie wartete, bis ihre Augen sich an das dämmerige Innere gewöhnt hatten. Es war heller, als sie erwartet hatte, und als sie sich weiter vorschob, sah sie durch ein Loch oberhalb des Eingangs Licht fallen und begriff, warum das so war. Aber sie erkannte augenblicklich auch den praktischen Nutzen eines solchen Lochs. Der Rauch konnte dadurch abziehen, ohne daß die oberen Regionen der Höhle sich damit füllten, und das war ausgesprochen von Vorteil.
Nachdem ihre Augen sich daran gewöhnt hatten, stellte sie fest, daß sie erstaunlich gut sehen konnte. Auch einfallendes Licht war von Vorteil. Die Höhle war zwar nicht groß, aber auch nicht klein. Vom Eingang aus gingen die Wände weiter auseinander, bis sie auf eine ziemlich gerade in die Höhe führende Rückwand stießen. Der Grundriß bildete ungefähr ein Dreieck, wobei die Spitze den Eingang bildete und die Ostwand etwas länger war als die Westwand. Die dunkelste Stelle war die Ostecke; dort galt es, als erstes nachzusehen.
Langsam kroch sie die Ostwand entlang und achtete besonders auf Spalten oder Gänge, die in weitere Höhlen führen und Gefahren bergen konnten. In der Nähe der dunklen Ecke lagen von der Wand heruntergebrochene Felsbrocken auf einem Haufen durcheinander. Sie kletterte hinauf, ertastete ein Sims und dahinter Leere.
Sie überlegte, ob sie sich eine Fackel holen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Weder Gerüche noch Geräusche oder sonst etwas hatten auf irgendwelches Leben hingewiesen; außerdem konnte sie einigermaßen sehen. Sie nahm Schleuder und Steine in eine Hand und wünschte, sie hätte unterwegs Halt gemacht, um ihren Überwurf anzuziehen; dann hätte sie gewußt, wohin mit ihren Waffen. Sie kletterte auf das Sims hinauf.
Die dunkle Öffnung war niedrig; Ayla mußte sich bücken, um sich darin zu bewegen. Aber es handelte sich nur um eine Nische, die endete, wo die Decke der Höhle mit dem Sims zusammentraf. Ganz hinten lag ein Haufen Knochen. Sie griff nach einem, kletterte dann hinunter und arbeitete sich an der Rückwand und die Westwand zurück zum Eingang. Es handelte sich um eine Höhle ohne weitere Ausgänge; auch wies sie außer der Nische weder Tunnels noch andere Kammern auf, die ins Unbekannte geführt hätten. Sie fühlte sich sicher und geborgen.
Abschirmend legte Ayla die Hand über die Augen, ging bis ans äußerste Ende der Terrasse vor der Höhle und blickte sich um. Sie stand oben auf der vorspringenden Felswand. Rechterhand in der Tiefe lag der Haufen Treibholz und Knochen und der steinige Uferstreifen. Linkerhand konnte sie weit ins Tal hinabschauen. In der Ferne bog der Fluß wieder nach Osten ab und umrundete dabei die gegenüberliegende Felswand, während die Felsen linkerhand allmählich an Höhe verloren und dann in die Steppe übergingen.
Sie untersuchte den Knochen in ihrer Hand. Es handelte sich um die lange Vorderhand eines Riesenhirschs; sie war alt und ausgetrocknet und wies deutlich die Spuren von Zähnen auf, die zugebissen und sie zertrümmert hatten, um an das Mark heranzukommen. Das Muster der Zähne und die Art und Weise, wie am Knochen herumgebissen worden war, kam ihr vertraut vor. Das konnte nur eine Raubkatze gewesen sein, dessen war sie sicher. Sie kannte sich in den Fleischfressern besser aus als irgend jemand sonst im Clan. Ursprünglich hatte sie ihre Jagdkünste ja an ihnen entwickelt; allerdings nur an den kleineren bis mittelgroßen Arten. Diese Zahnspuren stammen von einer großen, einer sehr großen Katze. Sie fuhr herum und blickte zur Höhle zurück.
Ein Höhlenlöwe! Das hier mußte einst das Lager von Höhlenlöwen gewesen sein. Die Nische eignete sich vollkommen für die Löwin, ihre Jungen darin zur Welt zu bringen, dachte sie. Vielleicht sollte ich doch nicht darin übernachten. Wer weiß, ob es wirklich sicher
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