Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
auserwählt.
Manche Menschen meinten, alle Schnitzer, ja, alle Menschen,
die etwas schufen oder verschönerten, damit aus diesen Dingen
etwas wurde, das über das rein Nützliche hinausging, wären
Künstler, doch nach Ranecs Überzeugung waren nicht alle
Künstler gleichermaßen begabt; vielleicht aber wendeten sie für
ihre Arbeiten nur nicht dasselbe Maß an Aufmerksamkeit und
Sorgfalt auf. Tier- und Menschenfiguren, die sie schufen, waren
roh, und er fand, derlei Darstellungen stellten eine Beleidigung
der Geister dar – und der Großen Mutter, die sie erschaffen
hatte.
In Ranecs Augen waren die besten und vollkommensten Beispiele von allen Dingen wunderschön, und alles, was schön war, stellte den Inbegriff von etwas Geistigem dar – gleichsam das Wesen des Geistigen. Das war seine Religion. Darüber hinaus, im tiefsten Grunde einer ästhetischen Seele, meinte er, Schönheit besitze einen ganz besonderen Wert eigener Art, und glaubte, in allem stecke die Möglichkeit, schön zu sein. Mochten einige Tätigkeiten oder Dinge schlicht funktional sein, er fand, daß jeder, der bei irgend etwas, das er tat, Vollkommenheit erreichte, ein Künstler sei und daß den Ergebnissen seines Tuns das Wesen der Schönheit innewohne. Die Kunst lag jedoch genauso sehr im Tun als auch im Ergebnis des Tuns. Kunstwerk waren nicht nur das Endprodukt, sondern der Gedanke, das
Tun, der Schaffensprozeß, der ihnen zugrundelag.
Ranecs Schönheitssuche – mit seinen geschickten Händen,
aber mehr noch mit seinen angeborenen empfindsamen Augen
– hatte fast etwas von religiösem Streben. Er hatte das Bedürfnis,
sich damit zu umgeben, und sah Ayla nachgerade selbst schon
als Kunstwerk – als den erlesensten, vollkommensten Ausdruck
der Frau, den er sich vorstellen konnte. Nicht nur ihr Aussehen
war es, das sie wunderschön machte. Schönheit war kein
beständiges Bild; es war Wesen, war Geist, war das, was zum
Leben erweckte. Am besten drückte es sich in Bewegung,
Verhalten und Leistung aus. Eine schöne Frau konnte nur eine
vollkommene und dynamische Frau sein. Wenn er es auch nicht
ausdrücklich sagte – Ayla wurde in seinen Augen mehr und
mehr zur vollkommenen Verkörperung des Urgeistes Frau. Sie
war das Wesen der Frau, das Wesen der Schönheit.
Der dunkelhäutige Mann mit den lachenden Augen und dem
beißenden Witz, den er erworben hatte, um seine tiefsten
Sehnsüchte zu verbergen, trachtete danach, mit seiner eigenen
Arbeit Vollkommenheit und Schönheit zu schaffen. Dafür wurde er von seinen Leuten als bester Bildschnitzer, als erlauchter Künstler gepriesen, doch er selbst war wie so viele Perfektionisten nie ganz zufrieden mit seinen eigenen
Schöpfungen. Er selbst bezeichnete sich nicht als Künstler. »Ich bin ein Bildschnitzer«, sagte er zu Ayla. Und als er die
Verwirrung in ihren Augen erkannte, fügte er noch hinzu:
»Manche Leute würden einen jeden Bildschnitzer einen
Künstler nennen.« Er zögerte einen Moment und überlegte, wie
sie seine Arbeit wohl beurteilen würde, dann sagte er: »Möchtest
du meine Schnitzereien gern einmal sehen?«
»Ja«, erwiderte sie.
Die schlichte Direktheit ihrer Antwort ließ ihn für einen
Moment innehalten, dann warf er den Kopf zurück und brach
in schallendes Gelächter aus. Selbstverständlich, was hätte sie
sonst sagen sollen? Um seine Augen herum bildeten sich
Lachfältchen, und so winkte er sie ins Langhaus hinein.
Jondalar sah sie gemeinsam durch den gewölbten Türbogen hineingehen und spürte, wie sich bleierne Schwere auf seine Glieder senkte. Er schloß die Augen und ließ den Kopf verzagt sinken.
Dem großgewachsenen, stattlichen Mann hatte es nie an weiblicher Aufmerksamkeit gemangelt. Da er jedoch gerade das nicht verstand, was ihn so anziehend machte, fehlte es ihm auch am Glauben daran. Er war ein Werkzeugmacher und fühlte sich im Umgang mit dem Körperlichen wohler als im Umgang mit dem Geistigen und fühlte sich mehr zu Hause, wenn es galt, seine beträchtliche Intelligenz auf das Verstehen von technischen Aspekten wie Druck und Schlag auf kristallinen Quarz zu richten – eben auf Feuerstein, auf Flint. Er begriff die Welt als etwas überaus Körperliches.
So drückte er sich auch körperlich aus; verstand es besser, mit den Händen als mit Worten umzugehen. Nicht daß er sich nicht auszudrücken verstanden hätte; er war nur mit Worten nicht besonders begabt. Er hatte durchaus gelernt, eine Geschichte gut zu erzählen, aber mit schlagfertigen Antworten und
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