Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Zeige- und Mittelfinger ihrer Rechten steckte sie durch die Lederschlaufen.
»Und dann legst du den Speer darauf«, fuhr sie fort und bettete den etwa sechs Fuß langen Speer in die Kerbe, die sie über die ganze Länge des Werfers eingegraben hatte. Den kleinen Haken, den sie hinten als Widerstand herausgearbeitet hatte, ließ sie in das Ende des Speers einrasten, wobei sie darauf achtete, die Federn nicht zu zerdrücken. Den Speer dann ruhig haltend, holte sie aus und ließ ihn fliegen. Der bewegliche lange Teil des Speerwerfers richtete sich auf, so daß ihre Armlänge wie auch die Wurfkraft beträchtlich vergrößert wurden; kraftvoll und schnell flog der Speer durch die Luft. Dann reichte Ayla Latie das Gerät.
»So?« fragte das Mädchen und hielt den Speerwerfer in der Waagerechten, wie Ayla es ihr gezeigt hatte. »Der Speer ruht in dieser Kerbe, und die Finger stecke ich durch die Schlaufen, um ihn festzuhalten; und das hintere Ende muß gegen diesen Haken stoßen?«
»Ja, gut so. Und jetzt wirf!«
Latie schleuderte den Speer von sich, und er flog ziemlich weit. »Das ist ja gar nicht so schwer«, sagte sie, offensichtlich mit sich zufrieden.
»Nein. Es ist nicht schwer, einen Speer zu werfen«, pflichtete Ayla ihr bei. »Schwer ist es, ihn dorthin zu werfen, wo man ihn haben will.«
»Du meinst, das Ziel genau zu treffen. Wie mit dem Pfeil durch den Reifen.«
Ayla lächelte. »Ja, muß man üben – um den Pfeil durch den Reifen zu werfen, das Loch zu treffen.« Sie hatte bemerkt, daß Frebec heraufgekommen war, um zu sehen, was die Männer trieben, und plötzlich wurde sie sich bewußt, daß sie sprach. Sie machte immer noch Fehler. Auch sie mußte üben, dachte sie. Doch wozu? Sie blieb ja nicht hier.
Latie übte, Ayla gab ihr Anweisungen und verbesserte ihre Haltung, und bald waren beide so sehr damit beschäftigt, daß sie die Männer, die ihre Übungen unterbrochen hatten, um zuzusehen, und die sich ihnen langsam genähert hatten, gar nicht bemerkten.
»Ja, so ist’s gut, Latie!« rief Jondalar, als sie ihr Ziel traf. »Wer weiß, vielleicht übertriffst du noch alle anderen! Ich glaube, die Jungs sind das Üben leid und wollen lieber dir zusehen.«
Danug und Druwez war sichtlich nicht sonderlich wohl in ihrer Haut, denn ganz aus der Luft gegriffen war Jondalars Neckerei nicht. Aber Latie strahlte. »Ich werde besser sein als alle anderen. Ich werde so lange üben, bis ich es bin«, sagte sie.
Sie fanden, für heute sei genug geübt, und schlenderten hinunter zur Erdhütte. Als sie sich dem Eingang näherten, kam Talut herausgestürmt.
»Da bist du ja, Ayla! Was war in dem Trank, den du mir gegeben hast?« fragte er, indem er auf sie zuging.
Sie machte einen Schritt zurück. »Schafgarbe mit ein bißchen Luzerne und Himbeerblättern und …«
»Nezzie! Hast du das gehört! Stell fest, wie sie das macht. Meine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen! Ich fühle mich wie neugeboren!« Suchend sah er sich um. »Nezzie?«
»Sie ist mit Rydag zum Fluß hinunter«, sagte Tulie. »Er schien heute morgen so müde, und Nezzie meinte, er sollte nicht so weit gehen. Aber er sagte, er wollte mit ihr gehen … vielleicht wollte er aber auch nur bei ihr bleiben … ich bin nicht ganz sicher, was das Zeichen bedeutete. Ich sagte, ich wolle mitgehen und ihn auf dem Rückweg tragen, oder das Wasser. Ich wollte gerade hingehen.«
Was Tulie sagte, erregte Aylas Aufmerksamkeit noch aus einem anderen Grund. Das Kind machte ihr Sorgen, aber noch mehr als das, sie spürte, daß Tulie plötzlich eine ganz andere Haltung ihm gegenüber einnahm. Er war jetzt Rydag, nicht einfach ›der Junge‹, und sie redete davon, was er gesagt hatte. Rydag war plötzlich zu einer eigenständigen Person für sie geworden.
»Nun …« Talut zögerte, momentan überrascht, daß Nezzie einmal nicht in seiner unmittelbaren Nähe war. Dann machte er sich Vorwürfe, das von ihr zu erwarten, und gluckste in sich hinein. »Würdest du es mir denn sagen, wie du ihn machst, Ayla?«
»Ja«, sagte sie, »gern.«
Er schien entzückt. »Wenn ich mich darauf verstehe, den Schnappes anzusetzen, sollte ich vielleicht auch wissen, wie man das Heilmittel für den Morgen danach aufbrüht.«
Ayla lächelte. Wenn er auch ein Bär von einem Mann war, der riesige rothaarige Anführer des Löwen-Lagers hatte etwas ausgesprochen Liebenswertes. Sie zweifelte nicht, daß er furchtbar werden konnte, wenn man seinen Zorn erregte. Er war schnell und wendig und stark, und an
Weitere Kostenlose Bücher