Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
die Leute des Lagers fast vergessen, konnte sie sich fast einbilden, dieser Junge, der so sehr wie ihr eigener Sohn aussah, sei in der Tat jenes Kind, das sie zur Welt gebracht hatte. Die Tränen, die ihr die Wangen netzten, vergoß sie im gleichen Maße um sich selbst wie um den Sohn, den zu sehen es sie so sehr verlangte, und wie um das Kind, das tatsächlich in ihren Armen ruhte.
Schließlich schlief Rydag ein. Die schwere Prüfung hatte ihm das Äußerste abverlangt – und Ayla nicht minder. Talut nahm ihn auf und trug ihn zu seinem Bett; dann half Jondalar ihr auf. Die Arme um sie geschlungen, stand er da, und sie sank ihm an die Brust. Sie war wie ausgepumpt und dankbar für seine Unterstützung.
Den meisten der Versammelten standen die Tränen der Erleichterung in den Augen; doch etwas Angemessenes zu sagen war schwer. Sie wußten nicht, wie sie der jungen Frau danken sollten, die das Kind gerettet hatte. Sie lächelten sie an, nickten beifällig, berührten sie freundlich mit der Hand und murmelten ein paar Worte, doch waren das kaum mehr als Laute. Was freilich für Ayla mehr als genug war. Worte der Dankbarkeit oder Lob hätten sie in diesem Augenblick wohl eher verlegen gemacht.
Nachdem Nezzie sich vergewissert hatte, daß Rydag bequem lag, ging sie zu Ayla. »Ich dachte schon, er wäre hinüber. Ich kann einfach nicht glauben, daß er nur schlief«, sagte sie. »Die Medizin war gut.«
Ayla nickte. »Ja, aber stark. Trotzdem – er sollte sie jeden Tag nehmen, ein wenig davon, nicht zuviel. Und zusammen mit anderer Medizin. Ich werde etwas für ihn zurechtmischen. Du brühst sie auf wie Tee, nur vorher kurz aufkochen. Ich werde es dir zeigen. Gib ihm morgens einen kleinen Becher davon, und kurz vorm Schlafengehen noch einen. Er wird nachts mehr Wasser lassen als sonst, bis er nicht mehr so aufgeschwemmt ist.«
»Wird diese Medizin ihn gesund machen, Ayla?« fragte Nezzie mit Hoffnungsfreude in der Stimme.
Ayla streckte die Hand nach ihr aus und sah sie an. »Nein, Nezzie. Kein Heiltrank kann ihn gesund machen«, erwiderte sie mit fester Stimme, in der Bedauern mitschwang.
Ergeben senkte Nezzie den Kopf. Sie hatte es immer gewußt, doch hatte Ayla mit ihrer Medizin einen so wunderbaren Erfolg erzielt, daß sie nicht hatte umhin können, Hoffnung zu schöpften.
»Die Medizin wird helfen. Rydag wird sich wohler fühlen, und er wird nicht soviel Schmerzen haben«, fuhr Ayla fort. »Aber ich habe nicht sehr viel bei mir. Die meisten Heilkräuter habe ich im Tal zurückgelassen. Ich hatte nicht gedacht, daß wir lange fortbleiben würden. Mamut kennt den Fingerhut, vielleicht hat er welchen.«
Mamut erhob die Stimme. »Meine Gabe ist die des Suchers, Ayla. Die Gabe der Heilkunst besitze ich nicht; aber die Mamut vom Wolfs-Lager ist eine gute Heilkundige. Wir können jemand hinschicken und fragen, ob sie welchen hat – sobald das Wetter aufklart. Das würde allerdings ein paar Tage dauern.«
Ayla hoffte, genug von dem Anregungsmittel fürs Herz zu haben, das sie aus den Blättern des Fingerhuts gewann – zumindest genug, damit es reichte, bis jemand hinging, um etwas zu holen. Mehr noch jedoch wünschte sie, den Rest ihrer Heilkräuter hier zu haben. Sie wußte nicht recht, wie andere damit umgingen und nach welchen Methoden sie die Kräuter sammelten. Sie war stets bemüht gewesen, die großen pelzigen Blätter langsam und an einem kühlen, dunklen Ort, wo keine Sonne hinkam, zu trocknen, damit möglichst viel von den Wirkstoffen erhalten blieb. Ach, hätte sie doch alle ihre Heilkräuter hier, doch die hatte sie wohl verwahrt in ihrer kleinen Höhle im Tal der Pferde zurückgelassen.
Genauso wie Iza es gemacht hatte, trug Ayla unablässig ihren Medizinbeutel aus Otternfell bei sich, der Wurzeln und Rinden, Blätter, Blüten, Früchte und Samenkörner von Pflanzen enthielt. Doch das war für sie kaum mehr als ein Erste-HilfeVorrat. In ihrer Höhle hatte sie einen Vorrat sämtlicher ihr bekannten Heilkräuter liegen, obwohl sie doch ganz allein gewesen war und eigentlich keine rechte Verwendung dafür gehabt hatte. Sie war dazu angeleitet worden, und jetzt war es die Macht der Gewohnheit, daß sie die Heilkräuter sammelte, wie sie in den verschiedenen Jahreszeiten auftauchten. Beim Umherziehen wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, etwa nicht zu sammeln. Sie kannte auch noch so manchen anderen Verwendungszweck für die Pflanzen, die in ihrer Umgebung wuchsen – vom Zusammendrehen der Fasern zu Bindematerial
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