Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Intelligenz mangelte es ihm gewiß nicht – gleichwohl hatte er etwas durchaus Sanftes. Er brauste nicht immer gleich auf. Und wenn er auch nichts dagegen hatte, gelegentlich einen Scherz auf Kosten eines anderen zu machen, lachte er doch auch ebensooft über seine eigenen Schwächen. Er behandelte die menschlichen Probleme der Leute mit aufrichtigem Bemühen, und sein Mitleid ging über sein eigenes Lager hinaus.
Plötzlich lenkte ein schriller Schrei die Aufmerksamkeit aller in Richtung Fluß. Hinsehen und den Hang hinunterlaufen war für Ayla eines; etliche andere folgten ihr. Nezzie kniete über einer kleinen Gestalt und jammerte herzzerreißend. Tulie stand verzweifelt und offenbar hilflos neben ihr. Als Ayla bei ihnen ankam, sah sie, daß Rydag ohnmächtig war.
»Nezzie?« sagte Ayla und ließ durch den fragenden Tonfall erkennen, daß sie gern wüßte, was geschehen war.
»Wir wollten den Hang hinauf«, erklärte Nezzie. »Offenbar bekam er nur unter Mühen Luft, und da dachte ich, es ist besser, ich trage ihn, doch als ich den Wasserbeutel absetzte, hörte ich ihn vor Schmerzen aufschreien, und als ich hinsah, lag er da wie jetzt.«
»Tulie! Trag Rydag ins Haus, ans Herdfeuer des Mammut. Und beeil dich!« befahl sie.
Den anderen voraus, lief Ayla hinauf, schoß durch den Eingangsbogen auf die Plattform am Ende ihres Bettes zu und kramte ihre Habseligkeiten durch, bis sie einen ungewöhnlichen Beutel fand, der aus einem ganzen heilen Otternfell gemacht worden war. Sie schüttelte den Inhalt auf das Bett und durchsuchte die kleinen Päckchen und Beutelchen, die darin gewesen waren, besah sich Umriß und Farbe der einzelnen Dinge, die Schnur, mit der sie verschlossen waren, sowie die Anzahl der Knoten und die Zwischenräume zwischen den einzelnen Knoten.
Ihre Gedanken rasten. Es ist sein Herz, ich weiß, es liegt an seinem Herzen. Es hat sich nicht richtig angehört. Keiner in Bruns Clan hat je Herzbeschwerden gehabt. Ich muß mich erinnern, was Iza mir erklärt hat. Und jene andere Medizinfrau beim Clan-Treffen; die hatte zwei Leute in ihrem Clan, die Schwierigkeiten mit dem Herzen hatten. Als erstes immer überlegen, hat Iza mir eingeschärft, was genau nicht stimmt. Er ist blaß und aufgeschwemmt. Er hat Mühe zu atmen, und es tut ihm weh. Sein Puls geht nur schwach. Sein Herz muß kräftiger arbeiten, muß stärker schlagen. Wie erreicht man das? Vielleicht mit Stechapfel? Nein, ich glaube nicht. Und was ist mit Nieswurz? Tollkirsche? Bilsenkraut? Fingerhut? Fingerhut … Fingerhutblätter. Aber die sind so stark, sie könnten ihn töten. Aber wenn er nichts bekommt, das stark genug ist, um sein Herz wieder zum Arbeiten zu bewegen, stirbt er ohnehin. Ja, und wieviel? Soll ich sie aufkochen oder nur überbrühen und einweichen? Ach, könnte ich mich doch nur daran erinnern, wie Iza es gemacht hat. Wo ist mein Fingerhut? Sollte ich gar keinen dabei haben?
»Ayla, was ist los?« Sie sah auf und erkannte Mamut neben sich.
»Es ist Rydag … sein Herz. Sie bringen ihn her. Ich suche nach … nach einer bestimmen Pflanze. Hoher Stengel … Blüten hängen untereinander … violett, und drinnen rot gesprenkelt. Große Blätter, fühlen sich an der Unterseite an wie Fell. Sie bringen das Herz dazu … zu stoßen. Verstehst du?« Daß ihr immer wieder Worte fehlten, beeinträchtigte Ayla, aber sie hatte sich klarer ausgedrückt, als ihr bewußt war.
»Selbstverständlich, Fingerhut. Ein sehr starkes Kraut …« Mamut sah, wie Ayla die Augen schloß und tief Luft holte.
»Ja, aber notwendig. Ich muß überlegen, wieviel … Hier ist der Beutel. Iza hat mir gesagt, den müßte ich immer dabei haben.«
In diesem Augenblick kam Tulie, den kleinen Jungen auf dem Arm, herein. Ayla riß die Felle von ihrem Bett, breitete sie neben dem Feuer auf dem Boden aus und wies die Frau an, ihn dort hinzulegen. Nezzie folgte ihr auf den Fuß, und bald waren sie von allen anderen umringt.
»Nezzie, zieh ihm den Überwurf aus. Und mach die anderen Kleider auf. Talut, das sind zu viele Menschen hier. Platz da!« Ayla gab Anweisungen und war sich überhaupt nicht bewußt, Befehle zu erteilen. Sie machte den kleinen Lederbeutel, den sie in der Hand hielt, auf und schnupperte am Inhalt. Dann blickte sie besorgt den Schamanen an. Doch nach einem weiteren Blick auf das bewußtlos daliegende Kind bekam ihr Gesicht plötzlich etwas Entschlossenes. »Mamut, ich brauche heißes Feuer. Latie, hole Kochsteine und eine Schale Wasser, und einen
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