Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
bis zum Essen; was sie jedoch am meisten an den Pflanzen interessierte, waren ihre Heilkräfte. Sie konnte kaum an Pflanzen vorübergehen, von denen sie wußte, daß sie heilende Wirkstoffe enthielten, ohne davon welche mitzunehmen – und sie kannte deren Hunderte.
Mit der Vegetation war sie so innig vertraut, daß unbekannte Pflanzen stets ihr Interesse weckten. Sie suchte an ihnen Ähnlichkeiten mit solchen, die sie kannte, und war sich darüber im klaren, daß große Pflanzengruppen kleinere Untergruppen aufwiesen. Sie konnte verwandte Typen und Familien identifizieren, wußte jedoch sehr wohl, daß ähnliches Aussehen nicht notwendigerweise auch ähnliche Reaktionen hervorrief; deshalb probierte sie die Wirkung vorsichtig an sich selbst aus und kostete und prüfte mit Überlegung und Erfahrung.
Auch was die Dosierungen und die Zubereitungsarten betraf, ging sie sehr vorsichtig zu Werke. Ayla wußte, daß ein Aufguß, den sie bereitete, indem sie kochendes Wasser über verschiedene Blätter, Blüten oder Beeren goß und diese darin einweichte, Aromastoffe und flüchtige Essenzen freisetzte. Das Aufkochen von Pflanzen, die Herstellung eines Sud, entzog den Stoffen die harzigen und bitteren Bestandteile und wirkte besser bei härterem Material wie etwa Rinde, Wurzeln und Samenkörnern. Sie verstand sich darauf, die wesentlichen Öle, Klebstoffe und Harze eines Krauts herauszuziehen, wußte, wie man Breiumschläge und Pflaster, Stärkungsmittel, Sirup, Mittel zum Einreiben und Salben herstellte, indem man Fette oder Dickungsmittel verwendete. Sie kannte sich aus im Mischen von Bestandteilen, im Verdünnen und Verdicken von Heilmitteln.
Ähnliche Vergleiche, wie sie bei den Pflanzen so aufschlußreich waren, offenbarten ihr auch bei Tieren Ähnlichkeiten. Aylas Kenntnis des menschlichen Körpers und seiner Funktionen war das Ergebnis einer langen Geschichte von Schlußfolgerungen, die auf dem Prinzip des Herumprobierens gewonnen worden waren; ihr weitreichendes Verständnis der Tieranatomie beruhte darauf, daß sie die Tiere, die sie gejagt hatte, hinterher auch zerlegen mußte. Und wie ähnlich diese Dinge beim Menschen waren, erkannte man, wenn es zu Unfällen oder Verletzungen kam.
Ayla war also Botanikerin, Kräutersammlerin und Heilkundige in einem; ihr Zauber beruhte auf dem Geheimwissen, das über Hunderte, Tausende, vielleicht sogar über Millionen von Jahren von Generation zu Generation weitervererbt und vertieft worden war, von Sammlern und Jägern, deren Existenz von der innigen Kenntnis des Landes und seiner Produkte abhing, auf dem und von denen sie lebten.
Aus diesem zeitlosen Schatz schriftlich nicht fixierter Geschichte, das durch die Ausbildung, die sie von Iza erfahren hatte, auf sie übergegangen war, sowie gelenkt von einer ihr innewohnenden analytischen Begabung und intuitiven Wahrnehmung, konnte Ayla die meisten Krankheiten und Verletzungen diagnostizieren und behandeln. Mit einem rasiermesserscharfen Flintmesser führte sie gelegentlich sogar kleinere chirurgische Operationen aus, doch hing Aylas Heilkunst im wesentlichen von den komplexen Wirkstoffen in den Heilkräutern ab. Sie verstand ihre Kunst, und ihre Heilmittel wirkten, doch eine größere chirurgische Operation an einem angeborenen Herzfehler konnte sie nicht vornehmen.
Während Ayla den schlafenden Jungen betrachtete, der ihrem eigenen Sohn so ähnlich sah, fühlte sie sich erleichtert und von großer Dankbarkeit durchdrungen; denn Durc war bei seiner Geburt kräftig und kerngesund gewesen – was jedoch keinesfalls den Schmerz linderte, den es kostete, Nezzie sagen zu müssen, daß Rydag mit Heilkräutern nicht gesund gemacht werden konnte.
Später am Nachmittag machte Ayla sich daran, ihre Päckchen und Beutel mit Kräutern zu ordnen, um jene Mixtur herzustellen, die sie Nezzie versprochen hatte. Wieder sah Mamut ihr schweigend dabei zu. Inzwischen konnte wohl kaum jemand ihre Heilkunst bezweifeln, selbst Frebec nicht, auch wenn er es immer noch nicht zugeben wollte – und auch Tulie nicht, die sich zwar nicht so lautstark geäußert hatte, die aber, wie der alte Mann sehr wohl wußte, außerordentlich mißtrauisch gewesen war. Ayla schien eine ganz gewöhnliche junge Frau zu sein, selbst für sein altes Auge noch sehr reizvoll anzuschauen, aber er war überzeugt, daß weit mehr an ihr war, als irgendeiner von ihnen wußte; er bezweifelte sogar, daß sie selbst sich über die Weite ihrer Möglichkeiten im klaren war.
Welch
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