Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
liebte.
Wollte sie mit in seine Heimat ziehen und riskieren, wie ein Tier behandelt zu werden? Oder wollte sie hierbleiben, wo man sie haben wollte und wo man sie akzeptierte? Das Löwen-Lager hatte sogar ein Kind gemischter Geister bei sich aufgenommen, einen Jungen wie ihren Sohn … Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Wenn sie schon einen bei sich aufgenommen hatten, vielleicht nahmen sie noch einen anderen auf? Einen, der nicht schwächlich und krank war? Einen, der lernen konnte zu reden? Das Territorium der Mamutoi erstreckte sich bis zur Beran-See. Hatte Talut nicht gesagt, irgend jemand habe dort ein WeidenLager? Die Halbinsel, auf der der Clan lebte, war nicht weit von dort entfernt. Wenn sie eine Mamutoi wurde, vielleicht konnte sie dann eines Tages … Aber was war mit Jondalar? Was, wenn er fortzog? Ayla verspürte einen schmerzlichen Stich in der Magengrube. Ob sie es aushalten könnte, ohne Jondalar zu leben? fragte sie sich im Hin und Her ihrer Gefühle.
Auch Jondalar schlug sich mit widerstreitenden Wünschen herum. Über das Angebot, das sie ihm gemacht hatten, dachte er kaum nach; höchstens daß er nach einem Ablehnungsgrund suchte, der Talut und die Mamutoi nicht allzusehr verletzte. Er war Jondalar von den Zelandonii, und er wußte, sein Bruder hatte recht gehabt. Er würde nie etwas anderes sein können. Es verlangte ihn heimzukehren, doch war das eher ein dumpf nagender Schmerz und nichts, was ihn beutelte und bedrängte. Es war ihm unmöglich, sich anderes vorzustellen. Sein Zuhause war weit, weit weg; es würde ein ganzes Jahr brauchen, diese Entfernung zu bewältigen.
Bei dem Aufruhr der Gedanken, der ihn umtrieb, ging es um Ayla. Wiewohl es ihm nie an willigen Partnerinnen gemangelt hatte, von denen die meisten mehr als bereit gewesen wären, länger andauernde Bande mit ihm zu knüpfen – nie war er einer Frau begegnet, die er so begehrte wie Ayla. Keine der Frauen seines eigenen Volkes und keine der Frauen, denen er auf seinen Reisen begegnet war, hatte in ihm jenen Zustand wecken können, den er bei anderen durchaus kannte, er selbst jedoch nie in sich gespürt hatte – bis er sie gefunden hatte. Er liebte sie mehr, als er es für möglich gehalten hätte. Sie war alles, was er sich je von einer Frau erhofft hatte – und mehr. Der Gedanke, ohne sie leben zu müssen, war ihm unerträglich.
Aber er wußte auch, wie es war, wenn man Schande über sich brachte. Und gerade jene Eigenschaften, die ihn so anzogen – die für sie so charakteristische Verbindung von Unschuld und Weisheit, von Offenheit und Geheimnis, von Selbstbewußtsein und Verletzlichkeit –, waren die Folge derselben Umstände, die ihn dazu bringen konnten, nochmals den Schmerz der Schande und des Exils zu verspüren.
Ayla war vom Clan großgezogen worden, Leuten, die auf unerklärliche Weise anders waren. Für die meisten Menschen, die er kannte, waren diejenigen, von denen Ayla als ›Clan‹ sprach, keine Menschen. Sie waren Tiere, freilich nicht wie die anderen Tiere, welche Die Mutter für ihre Bedürfnisse geschaffen hatte. Wenn man es auch nicht offen zugab – anerkennen tat man die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen durchaus; nur daß die offenkundig menschlichen Charakteristika des Clan keine engen Gefühle der Brüderlichkeit hervorriefen. Vielmehr sah man in ihnen eine Bedrohung, weshalb man die Unterschiede besonders betonte und nicht die Gemeinsamkeiten. In den Augen von Menschen wie Jondalar war der Clan eine unaussprechlich tierische Spezies, die nicht einmal zur Gesamtheit der Schöpfungen der Großen Erdmutter dazugehörte, sondern als wäre sie von einem großen unergründlichen Bösen gezeugt worden.
In Taten wurde die beiderseitige Menschlichkeit mehr anerkannt als im gesprochenen Wort. Vor noch gar nicht so vielen Generationen war Jondalars Art in das Clan-Territorium gezogen und hatte sich häufig in guten Wohnstätten in der Nähe fruchtbarer und wildreicher Regionen eingenistet und die Clan-Angehörigen in andere Gebiete abgedrängt. Doch wie Wolfsrudel ein Gebiet unter sich aufteilen, es voreinander verteidigen und nicht vor anderen Geschöpfen, seien diese nun Beutetiere oder Räuber – daß man die Reviergrenzen der anderen respektierte, stellte eine stillschweigende Anerkennung der Tatsache dar, daß man derselben Gattung angehörte.
Etwa um dieselbe Zeit, da er seine Gefühle für Ayla entdeckte, war Jondalar zu der Erkenntnis gekommen, daß alles Lebendige – auch die Flachschädel – eine
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