Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Er
schien beunruhigt und sah nicht gerade froh aus, so daß sie sich fragte, ob es wirklich richtig sei, daß sie eine Mamutoi wurde. Sie machte die Augen zu und richtete schweigend ihre Gedanken auf ihr Totem. Wenn der Geist des Höhlenlöwen es nicht gewollt hätte – hätte er ihr dann nicht ein Zeichen
geschickt?
Als Talut und Tulie sich neben sie stellten und Mamut kalte
Asche auf das letzte Feuer häufte, das im Langhaus noch
brannte, wußte sie, daß die Zeremonie gleich beginnen würde.
Auch wenn es nicht das erste Mal war, daß so etwas geschah,
und auch wenn das Lager wußte, was jetzt kam – im Dunkeln
auf Feuer zu warten war immer wieder ein Erlebnis, das an den
Nerven zerrte. Ayla fühlte die Hand auf ihrer Schulter und
schlug unter allgemein erleichtertem Aufatmen den Funken. Als das Feuer richtig gut brannte, stand sie auf. Sowohl Talut
als auch Tulie traten links und rechts von ihr vor; beide hielten
sie einen langen Elfenbeinstab in der Hand. Mamut stand hinter
Ayla, »Im Namen der Mut, der Großen Erdmutter, sind wir hier
versammelt, um Ayla in die Erdhütte vom Löwen-Lager der
Mamutoi aufzunehmen«, begann Tulie. »Aber wir heißen diese
Frau nicht nur im Löwen-Lager willkommen. Sie ist als Fremde
hergekommen; wir aber möchten sie zu einer der Unsrigen
machen, zu Ayla von den Mamutoi.«
Talut fuhr fort: »Wir sind Jäger des großen Wollhaarelefanten,
des Mammuts, das die Mutter uns gegeben hat, auf daß wir von
ihm leben. Das Mammut liefert uns Nahrung, Kleidung und
Unterkunft. Wenn wir die Mutter ehren, wird Sie den Geist des
Mammut dazu bringen, sich zu erneuern und jedes Jahr
wiederzukehren. Mißachten wir aber die Ehre der Mutter oder
gelingt es uns nicht, das Geschenk des Mammutgeistes
gebührend zu schätzen, wird das Mammut fortziehen und nie
wiederkommen. So hat man uns gesagt.
Das Löwen-Lager ist wie der große Höhlenlöwe; jeder einzelne
von uns bewegt sich furchtlos und mit Stolz. Auch Ayla bewegt
sich furchtlos und stolz. Ich, Talut vom Herdfeuer des Löwen
und Anführer des Löwen-Lagers, biete Ayla einen Platz unter
den Mamutoi des Löwen-Lagers an.«
»Ihr wird große Ehre angetan. Wieso ist sie dieser Ehre wert?«
ließ sich eine Stimme aus der Mitte der Versammelten
vernehmen. Ayla erkannte sie als die Frebecs und war froh,
vorher gesagt bekommen zu haben, daß dies zur Zeremonie
dazugehörte.
»Durch das Feuer, das ihr seht, hat Ayla unter Beweis gestellt,
was sie wert ist. Sie hat ein großes Geheimnis entdeckt, einen
Stein, aus dem man Feuer herausschlagen kann, und sie hat uns
ohne jede Bedingung an diesem Zauber teilhaben lassen – und
zwar jedes einzelne Herdfeuer unseres Lagers«, gab Tulie darauf
zur Antwort.
»Ayla ist eine Frau mit vielen Gaben und von großem
Können«, fügte Talut noch hinzu. »Sie hat Leben gerettet und
dadurch bewiesen, daß sie eine sehr kundige Medizinfrau ist. Sie
hat uns Fleisch gebracht und dadurch bewiesen, daß sie mit der
Schleuder und einer neuen Waffe, die sie mitgebracht hat – dem
Speerwerfer –, eine sehr geschickte Jägerin ist. Durch die Pferde
hinter diesem Eingangsbogen hat sie bewiesen, daß sie eine
Beherrscherin der Tiere ist. Sie würde jedem Herdfeuer zur Ehre
gereichen, und für das Löwen-Lager stellt sie eine große
Bereicherung dar. Sie ist es wert, eine Mamutoi zu werden.« »Wer setzt sich für diese Frau ein? Wer wird verantwortlich
sein für sie? Wer bietet ihr Heimatrecht am Herdfeuer an?« rief
Tulie laut und klar und sah dabei ihren Bruder an. Doch ehe
Talut antworten konnte, ließ eine andere Stimme sich
vernehmen.
»Der Mamut setzt sich für Ayla ein! Der Mamut übernimmt
die Verantwortung für sie. Ayla ist eine Tochter vom Herdfeuer
des Mammut!« erklärte der alte Schamane mit einer Stimme,
die tiefer, kräftiger und gebieterischer klang, als Ayla es jemals
für möglich gehalten hätte.
Überrascht wurde Luft geholt; leises Gemurmel ließ sich aus
dem Dämmer heraus vernehmen. Alle hatten gedacht, sie würde
vom Herdfeuer des Löwen adoptiert werden. Dies jetzt kam
unerwartet – aber war es das wirklich? Ayla hatte nie behauptet,
eine Schamanin zu sein oder eine solche werden zu wollen; auch
verhielt sie sich nicht wie jemand, der mit dem Unbekannten
und Unerklärlichen vertraut war; sie war nicht darin ausgebildet
worden, über besondere Kräfte zu verfügen. Gewiß, sie war eine
Heilkundige. Sie übte eine unerhörte Macht über Pferde aus,
vielleicht auch noch über andere Tiere. Vielleicht hatte
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