Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
obere Begrenzung des riesigen Deltas. Dicht an den Ufern des Flusses wuchsen Bäume und Sträucher, aber jenseits dieses schmalen Saums, wo Wasser nicht mehr unmittelbar zur Verfügung stand, ging die Vegetation rasch in Steppengräser über. Ayla und Jondalar ritten an bewaldeten Streifen entlang, aber; ohne den Windungen des Flusses zu folgen, durch trockenes Grasland in Richtung Westen.
Es war ein langer, heißer Tag gewesen. Jondalar und Ayla hatten sich auf der Suche nach einem Ort für die Nacht dem Fluß zugewandt und eine Stelle entdeckt, die aussah, als eigne sie sich als Lagerplatz. Sie ritten einen Abhang hinunter in ein einladend kühles Tal mit hohen Salweiden, die ihren Schatten über eine grüne Lichtung warfen. Plötzlich kam von der anderen Seite der Lichtung ein großer brauner Hase hervorgeschossen, Ayla drängte Winnie vorwärts und griff gleichzeitig nach der Schleuder in ihrem Gürtel, aber als sie die Grünfläche erreichten, wurde der feste Boden unter den Hufen des Pferdes schwammig, und es zögerte.
Ayla spürte den Wechsel der Gangart fast sofort, und es war ihr Glück, daß sie instinktiv auf das Verhalten des Pferdes reagierte, obwohl sie in Gedanken mit der Jagd auf den Hasen beschäftigt war. Sie hielt fast im gleichen Moment an, in dem Jondalar und Renner herangaloppiert kamen. Auch der Hengst spürte den weicheren Boden, aber sein Schwung war größer und trug ihn noch ein paar Schritte weiter.
Jondalar wurde beinahe abgeworfen, als Renners Vorderbeine in dickem Schlamm versanken; er konnte sich gerade noch halten und sprang neben dem Pferd herunter. Mit lautem Wiehern und unter Aufbietung seiner ganzen Kraft schaffte es der junge Hengst, dessen Hinterbeine noch auf festem Boden standen, ein Vorderbein aus dem saugenden Morast herauszuziehen. Renner trat einen Schritt zurück, fand festeren Halt und zerrte, bis der Schwemmsand plötzlich mit einem schmatzenden Geräusch auch seinen anderen Huf freigab.
Das junge Pferd war erschüttert, und der Mann beruhigte es, indem er ihm tröstend die Hand auf den gewölbten Hals legte. Dann brach er von einem nahestehenden Strauch einen Ast ab und benutzte ihn, um damit in dem vor ihnen liegenden Boden zu stochern. Als der Ast versunken war, benutzte er zur Erkundung den dritten der langen Pfähle, der nicht für das Schleppgestell verwendet wurde. Die grüne Lichtung war, obwohl mit Schilf und Seggen überwuchert, ein tiefes, mit nassem Lehm und Schlamm gefülltes Schlundloch. Das behende Zurückweichen der Pferde hatte eine mögliche Katastrophe abgewendet; doch von nun an näherten sie sich dem Großen Mutter Fluß mit wesentlich mehr Vorsicht.
Vögel waren nach wie vor die im Delta vorherrschende Tierart, insbesondere verschiedene Arten von Reihern und Enten sowie Unmengen von Pelikanen, Schwänen, Gänsen, Kranichen, einige Schwarzstörche und auf Bäumen nistende Braune Sichler. Die Nistzeit war von Art zu Art verschieden, aber alle Tiere mußten sich in der warmen Jahreszeit fortpflanzen. Die
Reisenden sammelten Eier von allen möglichen Vögeln; sie lieferten schnelle und bequeme Mahlzeiten - sogar Wolf lernte schnell, die Schalen aufzubrechen - wenn auch einige von ihnen ein wenig nach Fisch schmeckten.
Nach einer Weile waren ihnen die Vögel des Deltas vertraut. Als sie wußten, was sie erwarten konnten, wurden die Überraschungen seltener. Doch eines Abends, als sie dicht neben einem Wäldchen aus silbrigen Salweiden am Fluß entlangritten, bot sich ihnen ein erstaunliches Bild. Die Bäume wichen auseinander und gaben den Blick frei auf eine große Lagune, die vollständig mit großen Seerosen zugewachsen war. Der Anblick, der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, war eine Ansammlung von Hunderten der kleineren Schopfreiher, die mit ihren langen, anmutig gebogenen Hälsen und den zum Aufspießen von Fischen gesenkten langen Schnäbeln auf fast allen der stabilen Blätter standen, die die großen weißen Blüten umgaben.
Fasziniert schauten sie eine Weile zu, dann entschlossen sie sich zum Weiterreiten; sie fürchteten, daß Wolf die Vögel aufscheuchen würde. Als sie, nicht weit von dieser Stelle entfernt, ihr Lager aufschlugen, sahen sie, wie sich Hunderte der langhalsigen Reiher in die Luft schwangen. Jondalar und Ayla hielten inne und beobachteten, wie die Vögel zu dunklen Silhouetten wurden, die sich vor den rosa Wolken am östlichen Himmel abhoben. Wolf kam ins Lager getrottet, und Ayla vermutete, daß er sie gestört hatte.
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