Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
wieder auftauchte, erschrak der Junge, aber dann gewöhnte er sich an sein Kommen und Gehen.
Die große alte Linde verkündete ihr Vorhandensein schon lange, bevor sie sie erreichten, mit einem üppigen, an Honig erinnernden Duft und lautem Bienengesumm. Der Baum kam in Sicht, als sie eine Biegung des Pfades hinter sich gebracht hatten, und sie sahen die kleinen gelblichgrünen Blüten mit den
länglichen, flügelartigen Verblättern, von denen der süße Duft ausging. Die Bienen waren so mit dem Sammeln von Nektar beschäftigt, daß sie die Leute, die sie störten, in Ruhe ließen, obwohl Ayla aus den Blüten, die sie pflückte, etliche von ihnen herausschütteln mußte. Die Insekten flogen einfach zum Baum
zurück und suchten sich andere Blüten.
"Warum ist das für Roshario besonders gut?" fragte Darvalo. "Lindenblütentee wird doch oft getrunken."
"Er schmeckt gut, nicht wahr? Aber er ist auch sehr hilfreich. Wenn du aufgeregt bist oder nervös oder sogar wütend, kann er sehr beruhigend wirken; wenn du müde bist, weckt er dich auf und regt dich an. Er kann ein Kopfweh verschwinden lassen und Magenbeschwerden lindern. Roshario wird unter alledem leiden, wegen des Trankes, den ich ihr gegeben habe, damit sie einschläft."
"Ich habe nicht gewußt, daß er all das tun kann", sagte der Junge und blickte noch einmal auf den vertrauten, ausladenden Baum mit der glatten, dunkelbraunen Rinde, beeindruckt von dem Gedanken, daß in etwas so Gewöhnlichem so viele unbekannte Eigenschaften steckten.
"Es gibt noch einen anderen Baum, den ich gern finden würde, Darvalo, aber ich weiß nicht, wie er auf Mamutoi heißt", sagte Ayla. "Es ist ein kleiner Baum, der manchmal als Strauch wächst. Er hat Dornen, und die Blätter haben ungefähr die
Form einer Hand mit Fingern. Im Frühsommer trägt er Büschel von weißen Blüten und um diese Zeit runde rote Beeren."
"Es ist kein Rosenstrauch, den du suchst, oder?" "Nein, aber das kommt der Sache schon sehr nahe. Der Baum, den ich suche, ist normalerweise größer als ein Rosenstrauch, aber die Blüten sind kleiner, und die Blätter sehen anders aus."
Darvalo dachte angestrengt nach, dann lächelte er plötzlich. "Ich glaube, ich weiß, was du meinst, und ein paar davon wachsen gar nicht weit von hier. Im Frühjahr pflücken wir immer die Blattknospen und essen sie im Vorübergehen."
"Ja, das hört sich richtig an. Kannst du mich hinbringen?" Wolf war nicht in Sicht, deshalb pfiff Ayla nach ihm. Er erschien fast unverzüglich und blickte erwartungsvoll zu ihr auf. Sie bedeutete ihm, ihr zu folgen. Sie gingen ein Stück weiter, bis sie zu einer Gruppe von Weißdornen kamen.
"Das ist genau das, wonach ich gesucht habe, Darvalo", sagte Ayla. "Ich war nicht sicher, ob meine Beschreibung deutlich genug war."
"Wofür sind sie gut?" fragte er, als sie Beeren und ein paar Blätter, pflückten.
"Die sind für das Herz. Sie kräftigen es, regen es an, bewirken, daß es gut schlägt - aber sie sind milde, für ein gesundes Herz. Jemand, der ein schwaches Herz hat, braucht eine stärkere Medizin", sagte Ayla. Sie versuchte, die richtigen Worte zu finden, damit der junge Mann verstand, was sie aus Beobachtung und Erfahrung wußte. Sie hatte von Iza in einer Sprache gelernt, die schwer zu übersetzen war. "Sie sind auch gut in Verbindung mit anderen Kräutern. Sie sorgen dafür, daß sie besser wirken."
Darvalo stellte fest, daß es Spaß machte, mit Ayla Pflanzen zu sammeln. Sie wußte alle möglichen Dinge, von denen sonst niemand eine Ahnung hatte, und sie war bereit, ihm alles zu erklären. Auf dem Rückweg blieb sie an einer trockenen, sonnigen Böschung stehen, und pflückte ein paar angenehm
duftende, purpurrote Ysopblüten. "Wofür sind die?" fragte er.
"Sie klären die Brust, helfen beim Atmen. Und diese", sagte sie, als sie von einem nahebei wachsenden Habichtskraut ein paar flaumig behaarte Blätter abpflückte, "wirken allgemein anregend. Sie sind ziemlich stark und schmecken nicht sonderlich gut, deshalb nehme ich nur wenig davon. Ich will ihr etwas zu trinken geben, was gut schmeckt, aber dies wird ihren Verstand klären und sie wieder wach machen."
Ayla machte noch ein paar mal halt, um einen großen Strauß rosa Levkojen zu pflücken. Als Darvalo fragte, wofür die gut wären, erwartete er einen weiteren Hinweis auf medizinische Verwendbarkeit.
"Die nehme ich nur mit, weil sie hübsch duften. Ein paar davon verwende ich für den Tee, die anderen stelle
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