Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
Erdbeeren; rote Himbeeren und schwarze Brombeeren.
In den halbtrockenen Regionen, in denen nur wenig Regen fiel, hatten sich Niedergräser von weniger als anderthalb Fuß Höhe entwickelt. Sie hielten sich dicht am Boden und brachten, besonders in Dürrezeiten, immer neue Triebe hervor. Sie teilten das Land mit niederen Sträuchern, insbesondere Beifuß und Salbei.
Zwischen diesen beiden Extremen standen die Mittelgräser; sie füllten die Nischen, in denen es für Niedergräser zu kalt und für Hochgräser zu trocken war. Auch diese Regionen mit mittlerem Feuchtigkeitsgehalt konnten farbenprächtig sein; zahlreiche Blütenpflanzen wuchsen in dem grasigen Bodenbedecker aus Wildhafer, Mäusegerste und vor allem an Abhängen und in höheren Lagen, kleineren Queckearten.
Spartgras wuchs dort, wo das Land feuchter war. Nadelgras in kühleren Gegenden mit magerem, kiesigem Boden. Außerdem gab es zahlreiche Riedgräser, darunter Wollgras, das in erster Linie auf der Tundra und nasserem Boden wuchs. In Sümpfen gediehen hohes Schilfrohr, Rohrkolben und Binsen.
Am Fluß war es kühler, und als der Nachmittag in den Abend überging, fühlte Ayla sich hin und hergerissen. Sie wollte so schnell wie möglich aus dem stickigen Hochgras herauskommen, aber gleichzeitig wollte sie anhalten und ein paar von den Pflanzen, die sie um sich herum entdeckte, als Gemüse für ihre Abendmahlzeit ernten. Eine Art Rhythmus baute sich aus ihrer Anspannung auf: ja, sie würde anhalten, nein, sie würde es nicht tun - zwei Gedanken, die sich ständig
wiederholten.
Es dauerte nicht lange, bis der Rhythmus den Worten jede Bedeutung nahm, und ein leises Hämmern, das sich anfühlte, als müßte es eigentlich laut sein, erfüllte sie mit unguten Ahnungen. Sie war beunruhigend, diese Ahnung eines lauten Geräuschs, das sie nicht richtig hören konnte. Ihr Unbehagen wurde noch verstärkt durch das Hochgras, das sie von allen Seiten umgab; sie konnte zwar sehen, aber nicht weit genug. Sie war daran gewöhnt, größere Entfernungen zu überblicken, auf jeden Fall über unmittelbar vor ihr wogende Grashalme hinaus. Je weiter sie ritten, desto eindringlicher wurde das Gefühl, fast so, als käme dieses kaum hörbare Geräusch näher oder als bewegten sie sich auf seinen Ursprung zu.
Ayla fiel auf, daß an manchen Stellen der Boden frisch aufgewühlt zu sein schien; sie rümpfte die Nase, als sie einen starken und durchdringenden Moschusgeruch wahrnahm und nicht recht wußte, woher er stammte. Dann hörte sie ein dumpfes Knurren aus Wolfs Kehle.
"Jondalar!" rief sie und sah, daß er angehalten hatte und ihr mit erhobener Hand bedeutete, gleichfalls stehenzubleiben. Es war ganz offensichtlich etwas vor ihnen. Plötzlich zerriß ein lautes, dröhnendes Trompeten die Luft.
3. Kapitel
"Wolf! Bleib hier!" befahl Ayla dem jungen Tier, das voller Neugier vorwärtsschlich. Sie glitt von Winnies Rücken herunter und eilte zu Jondalar, der gleichfalls abgesessen war und sich vorsichtig durch das lichter gewordene Gras auf das durchdringende Trompeten und das laute Dröhnen zubewegte. Als sie bei ihm ankam, blieb er stehen; beide bogen die letzten Halme des Hochgrases auseinander, um sehen zu können. Ayla ließ sich auf ein Knie nieder, um Wolf festzuhalten, konnte aber den Blick nicht von der Szene auf der Lichtung abwenden.
Eine Herde von Wollmammuten stapfte aufgeregt herum - sie waren es gewesen, die die Lichtung am Rand der mit Hochgras bewachsenen Fläche geschaffen hatten. Ein großes Mammut brauchte täglich mehr als sechshundert Pfund Nahrung, und eine ganze Herde konnte ein beträchtliches Gebiet sehr schnell kahlfressen. Es waren Tiere jeder Größe und jeden Alters, darunter auch einige, die höchstens ein paar Wochen alt waren. Das bedeutete, daß es eine Herde war, der fast ausschließlich miteinander verwandte Kühe angehörten Mütter, Töchter, Schwestern, Tanten und ihre Nachkommen, eine Großfamilie, die angeführt wurde von einer erfahrenen und umsichtigen alten Matriarchin, die eindeutig größer war als alle anderen.
Auf den ersten Blick schienen alle Wollmammute ein rötlichbraunes Fell zu haben, doch bei genauerem Hinsehen erkannte man zahlreiche Variationen der Grundfarbe. Manche waren stärker rot oder stärker braun, einige tendierten zu Gelb oder Goldfarben, und wieder andere wirkten aus einiger Entfernung fast schwarz. Der dichte, zweischichtige Pelz bedeckte den ganzen Körper, von dem breiten Rüssel und
Weitere Kostenlose Bücher