Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
sie dachte nicht daran, die Menschen zu verleugnen, die sie liebte; dennoch fühlte sie sich isoliert und verletzt.
Dann spürte sie, daß jemand sich still neben sie gesetzt hatte. Sie wandte sich um und lächelte Jondalar dankbar zu. Sie fühlte sich besser; aber sie wußte, daß alles noch ungelöst war, und daß er auf das Ergebnis wartete. Sie hatte ihn aufmerksam beobachtet, und sie wußte, welche Antwort er Tholie geben würde. Aber Jondalar wartete auf Dolandos Reaktion, bevor er sich dazu äußerte.
Plötzlich durchbrach schallendes Gelächter die Spannung. Shamio und ein paar andere Kinder kamen mit Wolf aus einer der Wohnstätten gerannt.
"Ist es nicht erstaunlich, wie dieser Wolf mit den Kindern
spielt?" sagte Roshario. "Vor ein paar Tagen hätte ich es nicht für möglich gehalten, daß ich zusehen könnte, wie ein solches Tier sich mitten unter Kindern tummelt, ohne Angst um ihr Leben zu haben. Vielleicht sollte man auch daran denken: wenn man ein Tier, das man einst gehaßt und gefürchtet hat, näher kennenlernt, ist es möglich, daß man es fest in sein Herz schließt. Ich glaube, es ist besser, zu verstehen, als blind zu hassen."
Dolando hatte überlegt, wie er Carolios Frage beantworten sollte. Er wußte, was die Frage bedeutete und wieviel von seiner Antwort abhing, aber er konnte das, was er fühlte und dachte, nicht in Worte fassen. Er lächelte der Frau zu, die er liebte - dankbar dafür, daß sie ihn so gut kannte. Sie hatte seine Not gespürt und ihm einen Weg gewiesen, zu antworten.
"Ich habe blind gehaßt", begann er, "und ich habe blind denen das Leben genommen, die ich haßte, weil ich glaubte, daß sie dem das Leben genommen hätten, den ich liebte. Ich habe sie für böse Tiere gehalten, und ich wollte sie alle töten, aber das hat Doraldo nicht zurückgebracht. Und nun erfahre ich, daß sie diesen Haß nicht verdient haben. Ob Tiere oder nicht - sie wurden provoziert. Ich muß damit leben, aber ..."
Dolando unterbrach sich, er wollte von denen sprechen, die mehr wußten, als sie ihm mitgeteilt hatten, doch dann besann er sich anders.
"Diese Frau", fuhr er fort und sah Ayla an, "diese Heilerin sagt, sie sei von denen aufgezogen und ausgebildet worden, die ich für böse Tiere hielt, von denen, die ich haßte. Aber selbst wenn ich sie immer noch haßte, könnte ich Ayla nicht hassen. Sie hat mir Roshario zurückgegeben. Vielleicht ist es an der Zeit, ver-stehen zu lernen. Ich glaube, Tholies Idee ist gut. Ich wäre glücklich, wenn die Shamudoi Ayla und Jondalar bei sich aufnehmen würden."
Ayla fühlte, wie Erleichterung in ihr aufstieg. Jetzt erst verstand sie, warum dieser Mann von seinen Leuten gewählt worden war, sie zu führen.
"Nun, Jondalar?" sagte Roshario. "Was meinst du? Glaubst du nicht auch, daß es Zeit ist, deine lange Reise zu beenden? Es ist
Zeit für dich, dich niederzulassen, dein eigenes Herdfeuer zu entzünden, Zeit, der Mutter Gelegenheit zu geben. Ayla mit einem Kind zu segnen."
"Ich finde keine Worte, um dir zu sagen, wie dankbar ich dafür bin", begann Jondalar, "daß du uns willkommen geheißen hast, Roshario. Ich weiß, daß die Sharamudoi meine Leute, meine Verwandten sind. Es würde mir nicht schwerfallen, mich hier bei euch niederzulassen. Dein Angebot ist eine große Versuchung für mich. Aber ich muß zu den Zel-andonii zurückkehren" - er zögerte einen Augenblick -"und sei es auch nur um Thonolans willen."
Er schwieg, und Ayla sah ihn an. Sie hatte gewußt, daß er ablehnen würde. Aber was er sagte, überraschte sie. Sie bemerkte ein leichtes, kaum wahrnehmbares Nicken, als hätte er an etwas anderes gedacht. Dann lächelte er ihr zu.
"Als Thonolan starb, hat Ayla seinem Geist alles gegeben, was er für seine Reise durch die nächste Welt braucht; aber sein Geist fand keine Ruhe. Und ich fürchte, daß er einsam und unstet umherwandert und versucht, den Weg zurück zur Mutter zu finden."
Ayla beobachtete ihn aufmerksam, als er fortruhr.
"Ich kann es nicht dabei bewenden lassen. Jemand muß ihm helfen, seinen Weg zu finden; aber ich kenne nur einen, der vielleicht weiß, wie ihm zu helfen ist: Zelandoni, ein Shamud, ein sehr mächtiger Shamud, der dabei war, als er geboren wurde. Vielleicht kann Zelandoni mit Hilfe Marthonas - unserer gemeinsamen Mutter - seinen Geist finden und ihn auf den rechten Pfad geleiten."
Ayla wußte, daß das nicht der Grund war, um dessenwillen er zurückkehren wollte, jedenfalls nicht der Hauptgrund. Sie
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