Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
sieben Jahren sei er alt genug, seine Mutter zu verlassen und bei den Männern zu leben. Aber zuerst hat sie ihm das Bein ausgerenkt."
"Der andere Junge ist sieben Jahre alt?" fragte Jondalar. Er schüttelte entsetzt den Kopf. "Ich habe noch nie etwas so Grauenvolles gehört."
"Odevan hat Schmerzen, und er vermißt seine Mutter; aber Ardobans Geschichte ist noch schlimmer." Es war S'Amodun, der sprach. Er hatte den Schuppen verlassen und sich wieder der Gruppe angeschlossen.
"Es fällt schwer, sich etwas Schlimmeres vorzustellen", sagte Jondalar.
"Ich glaube, er leidet mehr unter dem Gefühl, verraten worden zu sein, als unter den körperlichen Schmerzen", sagte S'Amodun. "Für Ardoban war Attaroa wie eine Mutter. Seine wirkliche Mutter starb, als er noch sehr klein war, und Attaroa nahm ihn bei sich auf; aber sie behandelte ihn mehr wie ein Spielzeug als wie ein Kind. Sie zog ihm Mädchenkleider an und putzte ihn mit allem möglichen Firlefanz heraus. Doch sie ernährte ihn gut und gab ihm oft besondere Leckerbissen. Sie war sogar manchmal zärtlich zu ihm, und wenn ihr danach war, durfte er bei ihr in ihrem Bett schlafen. Aber wenn sie genug von ihm hatte, stieß sie ihn fort und ließ ihn auf dem Boden schlafen. Vor einigen Jahren begann Attaroa sich einzubilden, daß die Leute sie vergiften wollten."
"Man sagt, sie habe dasselbe mit ihrem Gefährten gemacht", warf Olamun ein.
"Sie ließ Ardoban alles vorkosten, bevor sie es anrührte", fuhr der Alte fort. "Und als er älter wurde, band sie ihn manchmal fest, weil sie überzeugt war, daß er fortlaufen wollte. Doch sie
war die einzige Mutter, die er kannte. Er liebte sie und suchte ihr alles recht zu machen. Er behandelte die anderen Jungen genau so, wie sie Männer behandelte, und begann den Männern zu sagen, was sie zu tun hätten. Natürlich ermutigte sie ihn dabei."
"Er war nicht zu ertragen", sagte Ebulan. "Man hätte glauben können, daß das ganze Lager ihm gehörte; und der drang-salierte die anderen Jungen derart, daß sie ihres Lebens nicht mehr froh wurden."
"Aber was geschah?" fragte Jondalar.
"Er kam ins Alter der Mannbarkeit", sagte S'Amodun. "Die Große Mutter kam zu ihm in Gestalt eines jungen Mädchens, als er schlief, und brachte seine Mannbarkeit zum Leben."
"Natürlich. Das erleben alle jungen Männer", sagte Jondalar.
"Attaroa fand es heraus", sagte S'Amodun. "Es war, als wäre er absichtlich zum Mann geworden, um sie zu aärgern. Sie schrie ihn an, beschimpfte ihn; dann verbannte sie ihn ins Männer-Lager. Aber erst ließ sie ihm das Bein ausrenken."
"Bei Odevan war es leichter", sagte Ebulan. "Er war jünger. Ich bin gar nicht einmal sicher, ob sie anfangs überhaupt die Absicht gehabt hatten, ihm das Bein aus dem Gelenk zu zerren. Ich glaube, sie wollten nur, daß seine Mutter und ihr Gefährte ihn schreien hörten. Aber als es einmal geschehen war, er-kannte Attaroa wohl, daß es ein gutes Mittel war, einen Mann unter ihre Gewalt zu bringen."
"Sie hatte Ardemun als Beispiel", sagte Olamun.
"Hat sie ihm auch das Bein ausgerenkt?" fragte Jondalar.
"In gewisser Weise", sagte S'Amodun. "Es war ein Unfall; aber es geschah, als er zu fliehen versuchte. Attaroa ließ nicht zu, daß S'Armuna ihm half, obgleich sie es, glaube ich wollte."
"Aber es ist grausam, einen Jungen von zwölf Jahren zu verstümmeln. Er wehrte sich und schrie; doch es nützte ihm nichts", sagte Ebulan. "Und ich sage dir, nachdem wir seine Qualen hier miterlebt haben, kann keiner ihm mehr böse sein. Er hat für sein kindisches Benehmen mehr als genug bezahlt."
"Stimmt es, daß sie den Frauen gesagt hat, daß allen Kindern, einschließlich der noch ungeborenen, das Bein ausgerenkt wird, wenn sie Jungen sind?" fragte Olamun.
"Das hat Ardemun gesagt", bestätigte Ebulan.
"Glaubt sie, daß sie der Großen Mutter vorschreiben kann, was sie zu tun hat? Nur noch Mädchen-Kinder zu machen?" fragte Jondalar. "Sie fordert ihr Schicksal heraus."
"Vielleicht", sagte Ebulan. "Aber nur die Mutter selbst kann sie noch von ihrem Weg abbringen, fürchte ich."
"Ich glaube, der Zelandonii hat recht", sagte S'Amodun. "Ich glaube, die Mutter hat sie bereits gewarnt. Denkt nur daran, wie wenige Kinder in den letzten Jahren geboren wurden. Diese letzte Schandtat, Kinder zu verstümmeln, ist vielleicht mehr, als die Mutter hinnehmen wird. Kinder müssen beschützt, sie dürfen nicht verletzt werden."
"Ich weiß, daß Ayla es nie verstehen würde. Sie würde über-haupt
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