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Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter

Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter

Titel: Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean M. Auel
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kein Besucher mehr gekommen war. Zwei von ihnen hatten schon einmal am Pfahl gehangen, und sie wußten, daß nichts Attaroa davon abhalten konnte, diesmal ihr tödliches Spiel zu beenden. Insgeheim bewunderten sie seine Weigerung, ihren Befehlen nachzukommen; aber sie hatten Angst, daß jedes Geräusch die Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte. So beobachteten sie schweigend den Ablauf des vertrauten Schauspiels, jeder von ihnen mit einem Gefühl des Mitleids, der Furcht - und der Scham.
    Alle Frauen des Lagers, nicht nur die Wolfsfrauen, waren auf-gefordert worden, dem Todeskampf des Mannes beizuwohnen. Die meisten von ihnen haßten den Anblick, aber sie fürchteten Attaroas Zorn. Sie hielten sich so weit im Hintergrund wie möglich. Es kostete sie Überwindung, doch wenn sie nicht erschienen, würde ihr Gefährte als nächstes Opfer an der Reihe sein. Einige Frauen hatten versucht, fortzulaufen, und einigen war es gelungen; doch die meisten wurden wieder eingefangen und zurückgebracht. Wenn es Männer im Pferch gab, an denen sie hingen - Gefährten, Brüder, Söhne -, dann wurden sie zur Strafe tagelang ohne Nahrung und Wasser in den Käfig gesperrt.
     
    Die Frauen, die Söhne hatten, waren besonders ängstlich; sie wußten nicht, was mit den Jungen geschehen würde - besonders nach dem, was Attaroa Odevan und Ardoban angetan hatte. Am ängstlichsten jedoch waren die beiden Frauen mit Säuglingen und die schwangere Frau. Attaroa behandelte sie mit beson-derer Aufmerksamkeit und war ständig um ihr Wohl besorgt; aber jede von ihnen hütete ein dunkles Geheimnis und fürch-tete, an den Pfahl gehängt zu werden, wenn es jemals herauskam.
    Die Anführerin trat vor die Jägerinnen und hob einen Speer vom Boden auf. Jondalar bemerkte, daß er ziemlich schwer und unhandlich war; trotz seiner Lage dachte er daran, wie man einen besseren machen könnte. Aber die schlecht gefertigte Spitze war dennoch scharf. Er beobachtete, wie die Frau sorgfältig zielte - ziemlich tief nach unten. Sie wollte ihn nicht töten, sondern verstümmeln. Er begriff, daß er ihr wehrlos ausgesetzt war, und widerstand dem instinktiven Drang, die Beine anzuziehen, um sich zu schützen. Doch dann würde er keinen Boden mehr unter den Füßen haben und noch verletzlicher sein.
    Attaroa beobachtete ihn durch ihre zusammengekniffenen Augen. Sie wußte, daß er Angst hatte, und genoß es. Einige von ihnen begannen jetzt, um Gnade zu winseln. Dieser hier nicht, dachte sie; jedenfalls noch nicht. Sie winkelte den Arm an, um zum Wurf auszuholen. Er schloß die Augen und dachte an Ayla. Wieder fragte er sich, ob sie tot oder lebendig war. Ob ihr Körper zwischen Pferdeleibern zerschmettert am Fuß der Klippe lag. Wenn sie tot war, hatte auch für ihn das Leben keinen Sinn mehr.
    Dann hörte er, wie ein Speer mit einem dumpfen Geräusch in den Pfahl schlug - aber über ihm! Plötzlich stand er fest auf seinen Füßen, und seine Arme waren frei. Er blickte auf seine Hände und sah, daß der Strick, mit dem er am Pfahl gehangen hatte, durchtrennt war. Attaroa hielt ihren Speer, noch in der Hand. Der Speer, den er gehört hatte, war nicht von ihr geworfen worden. Jondalar schaute auf und sah einen schlanken Speer mit einer Spitze aus Feuerstein neben dem Pflock im Pfahl stecken, das gefiederte Ende noch zitternd. Die scharfe Spitze hatte den Strick durchschnitten. Er kannte diesen Speer!
    Er drehte sich um und schaute in die Richtung, aus der er gekommen war. Unmittelbar hinter Attaroa nahm er eine Bewegung wahr. Er konnte es kaum glauben. War sie es wirklich? War sie wirklich noch am Leben? Er blinzelte mehrmals, um deutlicher sehen zu können. Und dann erkannte er vier fast schwarze Pferdebeine unter einem falben Pferd, auf dem eine Frau saß.
    "Ayla!" rief er. "Du lebst!"
     

29. KAPITEL
     
    Attaroa fuhr herum, um zu sehen, wer den Speer geworfen hatte. Vom anderen Ende des vor dem Lager gelegenen Feldes sah sie eine Frau auf dem Rücken eines Pferdes auf sich zureiten. Die Kapuze ihrer Felljacke war zurückgeschlagen, und ihr dunkelblondes Haar war von das der gleichen Farbe wie das Fell des Pferdes; die furchteinflößende Erscheinung schien aus einem einzigen Körper zu bestehen. Konnte der Speer von der Pferdefrau gekommen sein? Dann sah sie, daß die Frau einen anderen Speer wurfbereit in der Hand hielt.
    Attaroa fühlte, wie sich ihr die Haare sträubten; doch das nackte Entsetzen, das sie in diesem Augenblick ergriff, hatte mit so materiellen

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