Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
Zelandoni der Vierzehnten Höhle. »Grün ist die Farbe von Blättern und Gras. Sie ist natürlich auch die Farbe des Lebens, des Lebens der Pflanzen. Im Winter seht ihr, dass viele Bäume und Pflanzen braun sind, was zeigt, dass ihre wahre Farbe Altes Rot ist, die Farbe des Lebens. Im Winter ruhen die Pflanzen nur, sammeln Kraft für neues grünes Wachstum im Frühling. In ihren Blüten und Früchten zeigen die Pflanzen auch die meisten der anderen Farben.«
Ayla fand ihren Vortrag flach, und wenn die Information an sich nicht so interessant gewesen wäre, hätte man es als langweilig empfinden können. Kein Wunder, dass die restlichen Zelandonia sie nicht zur Ersten gewählt hatten. Dann fragte sich Ayla, ob sie nicht nur deshalb so dachte, weil sie wusste, wie sehr diese Frau ihre Zelandoni verärgerte.
»Vielleicht könnte der Zelandoni, der Gastgeber dieses Sommertreffens ist, uns von der nächsten heiligen Farbe erzählen?«, warf die Erste ein, als die Vierzehnte gerade Luft holte, um fortzufahren. Unter diesen Umständen konnte sie kaum dagegen protestieren.
»Ja, natürlich«, sagte er. »Die dritte Grundfarbe ist Gelb, die Farbe der Sonne, Bali, und die Farbe des Feuers, wenngleich in beiden auch viel Rot enthalten ist, was zeigt, dass sie ein eigenes Leben haben. Das Rot in der Sonne sieht man meist am Morgen und am Abend. Die Sonne spendet uns Licht und Wärme, kann aber auch gefährlich sein. Zu viel Sonne kann die Haut verbrennen, kann Pflanzen verdorren und Wasserlöcher austrocknen lassen. Wir können die Sonne nicht beherrschen. Nicht mal Doni, die Mutter, konnte ihren Sohn Bali beherrschen. Wir können nur versuchen, uns vor ihr zu schützen, ihr aus dem Weg zu gehen. Feuer kann sogar noch gefährlicher sein als die Sonne. In gewissem Maße können wir es unter Kontrolle halten, und es ist sehr nützlich, aber wir sollten nie sorglos mit Feuer umgehen, es nicht für selbstverständlich erachten.
Nicht alle gelben Dinge sind heiß. Mancher Boden ist gelb, es gibt sowohl gelben wie roten Ocker. Menschen haben gelbe Haare.« Er blickte direkt zu Ayla. »Und natürlich zeigen auch viele Blumen das wahre Gelb. Wenn sie verdorren, werden sie braun, was wiederum eine Schattierung von Rot ist. Aus diesem Grund wird gelegentlich angeführt, man solle Gelb als eine Schattierung von Rot und nicht als eigenständige heilige Farbe betrachten, aber die meisten sind sich darin einig, dass es eine Grundfarbe ist, die Rot anzieht, als Farbe des Lebens.«
Ayla fand den Zelandoni der Sechsundzwanzigsten Höhle fesselnd und betrachtete ihn genauer. Er war hochgewachsen, muskulös, hatte dunkelblondes, fast braunes Haar mit helleren Strähnen und dunkle Augenbrauen, die in seine Zelandoni-Tätowierung an der linken Schläfe übergingen. Die Tätowierung war nicht so kunstvoll wie bei anderen, jedoch sehr klar umrissen. Sein Bart war braun mit rötlichen Tönen, schmal und exakt geschnitten. Dazu muss er wohl ein scharfes Steinmesser benutzen, dachte sie. Er befand sich im besten Mannesalter, und sein Gesicht war ausdrucksstark, doch er wirkte jung und lebenssprühend, gleichzeitig aber ruhig und beherrscht.
Die meisten würden ihn wohl für gut aussehend halten. Sie fand das jedenfalls, traute jedoch ihrem Gefühl nicht ganz, wer auf Menschen ihrer Art anziehend wirkte, auf die »Anderen«, wie der Clan sie nannte. Ihre Auffassung von gutem Aussehen war stark beeinflusst durch die Maßstäbe derer, bei denen sie aufgewachsen war. Sie fand, dass die Leute des Clans gut aussahen, doch die meisten Anderen fanden das nicht, obwohl viele nie einen vom Clan gesehen hatten, höchstens aus der Ferne. Ayla beobachtete die jungen Gehilfinnen und bemerkte, dass sie sich offensichtlich zu dem Sprecher hingezogen fühlten. Das traf auch auf einige der älteren Frauen zu. Jedenfalls gelang es ihm sehr gut, die Überlieferungen zu vermitteln. Die Erste war anscheinend auch dieser Meinung. Sie bat ihn, fortzufahren.
»Die vierte Grundfarbe ist das Klare, Durchsichtige«, nahm er seine Erläuterungen wieder auf. »Das Klare ist die Farbe des Windes, die Farbe des Wassers. Das Klare kann alle Farben aufzeigen, wenn man zum Beispiel in einen ruhigen Teich schaut und in einen Abglanz, oder wenn Regentropfen in allen Farben glitzern, wenn die Sonne herauskommt. Sowohl Blau als auch Weiß sind Schattierungen des Klaren. Wenn man in den Wind schaut, ist er klar, durchsichtig, aber schaut man in den Himmel, sieht man Blau. Wasser in einem See
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