der seine Gefühle gut verkaufen kann: Ein Schauspieler muß er sein.
Auch dafür findet sich in der Psychologie eine Klassifizierung: Es ist der Histrio. Der Begriff stammt aus der römischen Antike, der histrio (deutsch: Histrione) war ein (immer männlicher) Schauspieler, Tänzer oder Musiker (vgl. Leppin, 1992). Die Übernahme des Begriffs in die klinischen Diagnosesysteme betont denn auch diesen Aspekt des theatralischen und emotional aufdringlichen Verhaltens. Er ist aber nicht nur ein guter Darsteller wechselnder Gefühle; vielmehr gelten als weitere Charaktermerkmale seine schnelle Erregbarkeit, auch Aggressivität und Halsstarrigkeit, verführerisches Verhalten, oft verbunden mit sexuellen Problemen, Suggestibilität und aktive Abhängigkeitstendenzen, ferner Egozentrismus, emotionale Labilität und theatralisches Verhalten (Blacker & Tupin, 1991; Mentzos, 1999).
Besonders das letzte Merkmal bewirkt häufig, daß das Bild des Histrio vom Schema des weiblichen Histrio geprägt wird, schlummert doch dahinter das Alltagsverständnis einer sogenannten hysterischen Frau. (Auch um solche Stigmatisierungsprobleme zu vermeiden, wurde die Bezeichnung »hysterische Persönlichkeit« in den gängigen psychologischen Diagnosesystemen durch die Bezeichnung »Histrio« ersetzt.) Das ist falsch, eine histrionische Persönlichkeitsstruktur ist nicht vom Geschlecht abhängig, es gibt sie also sowohl in der weiblichen wie in der männlichen Form. Allerdings tritt der männliche Histrio in zwei Varianten auf, wodurch das eben genannte Fehlurteil sicherlich noch verstärkt wird. Denn die gewiß auffälligere Ausgabe ist der weichliche, passive, pseudofeminine, oft homosexuelle Histrio. Es gibt ihn aber auch in der sozial akzeptierteren und insofern unauffälligeren Form, nämlich als den hypermaskulinen, extrem durchsetzungsfähigen, hypersexuellen und aggressiven »Don-Juan-Typ« (Blacker & Tupin, 1991), dessen modernere Variante eher in den Filmfiguren des Terminators von Arnold Schwarzenegger oder des John Rambo von Sylvester Stallone zu finden ist.
In welcher Form auch immer, das emotionale Erleben und Verhalten des Histrio ist zwar theatralisch, aber zugleich wenig differenziert: »Anders gesagt, scheinen diese Menschen allgemein durch eine zu hastige und unzureichende innerpsychische Organisiertheit, Differenzierung und Integration mentaler Inhalte gekennzeichnet zu sein. Der normale geistig-seelische Integrationsprozeß, in dem ein halbbewußter Einfall zu einer bewußten Einschätzung, ein halb aufgenommener und diffuser Eindruck zu einer klaren Vorstellung und eine halbbewußte und momentane Gefühlsregung eine artikulierbare und tiefe Emotion werden – diese Prozesse sind bei hysterischen Menschen in entscheidender Weise ausgedünnt. Wenn eine Emotion als Resultat eines normalen Integrationsprozesses und durch assoziatives Verknüpfen halb ausgeformter Impulse oder Gefühle mit bestehenden Interessen, Zielen, Gefühlen oder Vorlieben in das Bewußtsein aufsteigt – dann empfindet man diese Emotion als echt und als eigene. Sie ist mit dem eigenen Selbst konsistent, und man spürt ihren ›Tiefgang‹. Dieses integrative Entwickeln findet jedoch bei hysterischen Menschen nicht statt, weder auf affektiver noch auf kognitiver Ebene, und in diesem Sinne spiegelt ihr Erleben, daß sie am eigenen emotionalen Ausbruch nicht wirklich beteiligt seien, im Grunde eine reale Tatsache wider« (Shapiro, 1991, S. 131 f.). Mit dieser Ausstattung sind Histrios ideale Gefühlsarbeiter.
Allerdings muß man wie bei den Narzißten auch hier Abstufungen machen, denn ebenso, wie fast jeder Mensch narzißtische Züge in sich trägt, hat er auch histrionische Züge. Wir hatten oben von Verweigerern, Anpassern und Schauspielern gesprochen. Bei letzteren liegt die Vermutung nahe, daß an sich also normale Persönlichkeitsmerkmale zu einer histrionischen Persönlichkeits störung geworden sind. Die Störung ist also auch hier nur eine Extremvariante von durchschnittlichen Erlebens- und Verhaltensweisen. Sie wird dann diagnostiziert, wenn drei der nachfolgenden sechs Merkmale vorliegen: (i) Dramatisierung der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen, (ii) andauerndes Verlangen nach Aufregung, Anerkennung durch andere und Aktivitäten, bei denen die betreffende Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, (iii) Suggestibilität, leichte Beeinflußbarkeit durch andere Personen oder Umstände, (iv)
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