oberflächliche und labile Affektivität, (v) unangemessen verführerische Erscheinung und entsprechendes Verhalten sowie (vi) übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität. Menschen mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung sind extravertiert, sie setzen sich aggressiv gegenüber anderen durch, und sie haben unbewußte Wünsche nach engen Beziehungen, nach einem Partner, der Entscheidungen für sie trifft und ihnen Ratschläge gibt (Sachse, 2002). Allerdings muß man auch anmerken, daß sich diese Grenzen verschieben, wenn die Show zur Überlebenstechnik und die histrionische Persönlichkeit zur Galionsfigur der Unterhaltungsindustrie wird (Schmidtbauer, 1999, S. 49).
Zu fragen ist auch hier, wie solche histrionischen Charaktere entstehen. Dazu gibt es verschiedene Erklärungsansätze (vgl. etwa Blacker & Tupin, 1991; Fiedler, 1997).
Verhaltenstheoretische Erklärungen vertiefen diesen Ansatz, sie sehen als Ursachen vor allem histrionisches Verhalten der Eltern, häufige Bekräftigungen des histrionischen Verhaltens bei den Kindern und (meist) nur kurzfristiges Erfüllen der Wünsche nach elterlicher Zuwendung, Nähe und Unterstützung. Das Kind erlebt so keine sicheren Bindungen, kann kein stabiles Selbstkonzept entwickeln und flüchtet sich in Inszenierungen.
Moderne psychoanalytische Ansätze (vgl. zum Folgenden Mentzos, 1999) gehen ebenfalls von einem nicht vollständig ausgebildeten Selbstbild aus, das mit Hilfe der theatralischen Inszenierung vor sich selbst und anderen verborgen werden soll. »Der Betreffende versetzt sich innerlich (dem Erleben nach) und äußerlich (dem Erscheinungsbild nach) in einen Zustand, der ihn sich selbst quasi anders erleben und in den Augen der umgebenden Personen anders, als er ist, erscheinen läßt« (Mentzos, 1999, S. 75). Das Hysterische ist ein Modus der Konfliktverarbeitung mit dem Ziel eines veränderten Selbstbildes; es dient letztlich der neurotischen Entlastung von einem intrapsychischen Konflikt. In der Inszenierung kann der Histrio »verbotene« Gefühle ausdrücken, ohne sich dafür schämen zu müssen, er kann sich vor sich selbst und anderen aufwerten, er kann eine reduzierte emotionale Erlebensfähigkeit überlagern und erfährt vermehrte Zuwendung.
Kognitive Theorien betonen den Aspekt der schematisierten Verhaltensweisen histrionischer Persönlichkeiten. Histrioniker sind durch ihre frühkindliche Erziehung dazu angeleitet worden, ängstigende und bedrohliche Interaktionen durch ihre äußere Erscheinung und ihr Rollenverhalten zu verändern, zu vermeiden oder ihnen zu entfliehen. Sie wollen immer und überall möglichst gut erscheinen und von allen geliebt werden und lassen sich von ihrer eigenen Darstellung hinreißen.
Eine weitere Ursache wird im familiären Kontext gesehen. Häufig kommen histrionische Patientinnen aus Familien mit einem Vater mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Sie berichten häufig frühkindliche Erfahrungen von Gewalt und lernen dort geringe Impulskontrolle, ein durch inszenierte Übertreibungen ausweichendes Verhalten bei Konflikten, eine mangelnde Schuld- und Schamfähigkeit und vor allem die Unfähigkeit zu engen Beziehungen.
In allen Erklärungsansätzen zeigt sich die Bedeutung der frühkindlichen Erziehung und des Elternhauses. Kinder und Heranwachsende brauchen für ihre Entwicklung stabiler Selbstbilder feste und verläßliche Bindungen. Unsicheres Bindungsverhalten in dieser Zeit erzeugt nicht nur Heimatlosigkeit, Bindungslosigkeit, innere Leere, Vereinsamung, Langeweile sowie das Fehlen einer persönlichen Identität. (Inzwischen sollen bereits 15% bis 20% aller Kinder und Jugendlichen an beratungs- oder behandlungsbedürftigen Problemen leiden, die durch unsicheres Bindungsverhalten verursacht sind; vgl. Eggers, 2002.) In dieser schwierigen Situation lernen die Kinder auch theatralische Inszenierungen als einen Ausweg kennen. Das beginnt bereits im Säuglingsalter: Wenn Mütter auf die Signale der Säuglinge nicht eingehen, übertreiben diese ihre Äußerungen, um sich so Gehör zu verschaffen (Grossmann & Grossmann, 2003).
Besonders in Elternhäusern mit mangelnder (vor allem: mütterlicher) Zuneigung in der frühen Kindheit sowie mit geringer Impulskontrolle und allgemein ausweichendem Verhalten, jedoch zugleich inszenierten Übertreibungen in Problemsituationen erlebt das Kind, daß es seine Wünsche nicht auf normalem Wege durchsetzen und keine dauerhaften engen Beziehungen
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