egozentrisch, oberflächlich, intuitiv, wenig strukturiert und impressionistisch. Dadurch fehlt ihm häufig ein systematisches und strukturiertes Faktenwissen. Er kann sich nicht lange konzentrieren und lebt stark im Hier-und-jetzt. Auch neigt er zu einer seine Alltagsvorstellungen prägenden, romantisierenden Weltsicht und zu entsprechenden Idealisierungen. Schließlich ist er leicht zu beeindrucken und zu beeinflussen.
Sein Verhalten ist durch Interesse für alles Lebhafte, Farbige, emotional Aufgeladene und Provozierende gekennzeichnet, das er schnell imitiert. Er füllt seine innere Leere häufig mit ausgeprägtem Erlebnishunger nach aufregenden äußeren Ereignissen. Er beschäftigt sich intensiv mit seiner körperlichen Attraktivität und seinem gutem Aussehen. Egozentrik dominiert auch sein Handeln, andere Menschen werden dafür manipulativ oder aggressiv instrumentalisiert. Er gibt sich häufig verführerisch im Sinne einer Sexualisierung jeder Aktivität, oder er setzt sich mit Hilfe von Krankheiten in Szene. Er versucht, immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Als Lebenspartner sucht er stabile, verläßliche Persönlichkeiten, die ihn sicher führen und tragen.
Das alles ist Peter Munk ganz sicher nicht. Mit seinen Phantasien von Glanz, Schönheit und Erfolg, seinen Ansprüchen und seinem Neid, aber besonders mit seinem Mangel an Einfühlungsvermögen ist er als Narzißt zu diagnostizieren. Ob Linda de Mol, wenn sie nicht vor der Kamera steht, tatsächlich ein histrionischer Charakter ist, kann, muß und darf hier nicht geklärt werden. Kann nicht, weil zur Beantwortung dieser Frage nicht genug Informationen über ihr Leben vorliegen. Muß nicht, weil es für unsere Argumentation nur wichtig war, daß sie als eine der ersten das Fernsehen überaus erfolgreich zum Verkauf von Gefühlen, also zur Gefühlsarbeit, instrumentalisiert hat. Und darf nicht, weil es sich bei ihr ja auch um einen Menschen mit einem Privatleben handelt, in dem ein medienkritischer Autor nicht einfach herumstochern darf. Nur in ihrer öffentlichen Funktion, als eine Galionsfigur des Showbusiness, war sie Gegenstand unserer Überlegungen, anschauliches Beispiel für den neuen Sozialcharakter, den Histrio.
3. Marlene Dietrich, Leni Riefenstahl – Über histrionische Mythen
Kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende, in Berlin: Marie Magdalene Dietrich und Helene Bertha Amalia Riefenstahl werden geboren. Erstere wird später unter dem Namen Marlene Dietrich in den USA eine Karriere als Weltstar erleben, letztere wird als Leni Riefenstahl die Filmemacherin des Führers und Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eine Kultfigur der amerikanischen Cineasten werden. Mythos Marlene und Mythos Leni, die beiden international wohl bekanntesten deutschen Stars, haben sich einen herausragenden Platz in der Filmgeschichte erobert; das Time Magazine wählte Leni Riefenstahl sogar als einzige Frau unter die einhundert wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts (Trimborn, 2002, S. 481).
Was haben diese beiden Frauen miteinander und mit dem Histrio zu tun?
Die Antwort auf diese Frage findet sich in der These von der Verschiebung der Grenzen zwischen histrionischer Normalität und psychopathologischer Störung. Wenn in der gegenwärtigen Gesellschaft tatsächlich der Histrio die Galionsfigur der Unterhaltungsindustrie geworden ist, dann müßten derartige Galionsfiguren auch ausgeprägt histrionische Persönlichkeitsstrukturen aufweisen.
Ein entsprechender Beweis ist nicht ganz einfach zu erbringen. Zum einen gibt es viele Galionsfiguren der Unterhaltungsindustrie, vergangene und aktuelle, aus den Bereichen Sport, Musik, Show und Medien. Allerdings kann man hier sicherlich auf die führende Rolle der Filmstars hinweisen, sie lassen sich schließlich am besten nach den Wünschen eines großen Publikums modellieren. Aber auch das führt nicht notwendig zu den beiden Frauen, gibt es inzwischen, nach über einhundert Jahren Filmgeschichte, doch hunderte Filmstars als femmes fatales, Flappergirls, Vamps, gute Kameradinnen, Sexbomben oder Nymphen bei den Frauen, als Helden, geheimnisvolle Fremde, Jungs von nebenan, Hartgesottene oder verlorene Rebellen bei den Männern. Da mag ein Blick zurück hilfreich sein, sieht man doch über die historische Distanz manche Dinge klarer. Diese Perspektive schränkt die Zahl etwas ein, wenngleich es auch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts schon eine ganze Reihe solcher Stars gab: von »America's
Weitere Kostenlose Bücher