Stalker verfolgte sie bis in ihr Büro und würgte sie fast bis zur Bewußtlosigkeit. Im Großraum von Los Angeles und meist in der Nähe von Hollywood gibt es inzwischen Firmen, die sich auf die Beratung der belästigten Stars spezialisiert haben, und die Polizei von Los Angeles gründete 1990 eine Spezialeinheit für derartige Fälle (Hoffmann, 2001).
Bizarr will es einem erscheinen, was da geschieht. Gewöhnt sind wir an mildere Formen, nämlich, daß Fans für einen Star schwärmen, seine Fotos an der Wand hängen haben, möglichst alle seine Filme ansehen oder alle seine CDs kaufen, Autogramme und andere Devotionalien von ihm sammeln, Mitglied in seinem Fanclub sind, dieselbe Mode wie er tragen und das Parfum kaufen, das seinen Namen trägt. Allenfalls dürfen sie ihm noch Briefe oder E-Mails schreiben, zu seinen Auftritten reisen, vor der Bühne kreischen, um »backstage«-Karten kämpfen oder sich ihm für eine Nacht als Groupie anbieten. Nach Untersuchungen englischer und amerikanischer Wissenschaftler sollen rund ein Drittel der von ihnen Befragten einen Star anhimmeln, ein Prozent soll zum pathologischen »Stalking«-Verhalten neigen (McCutcheon et al., 2004). Es stellt sich die Frage: Wie kommt das?
Sein wollen wie ein anderer, dieser Wunsch ist so alt wie die Menschheit selbst. Die eigenen Vorfahren, mythische Figuren, Götter und Heilige, historische Heidenfiguren gaben schon immer Orientierung in Zeiten des individuellen und gesellschaftlichen Umbruchs. Auch wurden ihre Geschichten schon immer auch durch Medien von Generation zu Generation weitergegeben. Dies alles fand aber im Kontext ausgeprägter realer sozialer Beziehungen und realer Vorbilder in der Familie und in anderen sozialen Gruppierungen – der Dorfgemeinschaft, der Kirchengemeinde, dem Kollegenkreis – statt. Und die verwendeten Medien waren informationsarme Medien, insbesondere Schriften, Bilder und Denkmäler. So mußten die nicht aus dem persönlichen Umfeld stammenden Vorbilder im allgemeinen ziemlich distant und unrealistisch bleiben.
»Ich bin Toni Turek«, haben wir als Kinder gerufen, wenn uns das Los in das Tor der eigenen Fußballmannschaft stellte. So gab man sich und den Mitspielern Sicherheit. Jedenfalls bis zum ersten Tor der gegnerischen Mannschaft, mit ihren Fritz Walters und Helmut Rahns im Sturm. Der Karneval mit seinen Kostümierungen ist geradezu eine institutionalisierte Veranstaltung für partielle, spielerische Identifikationen. Für den Abend ist der Jecke ein Seemann, ein Räuber oder ein Clown, die Jeckin eine Prinzessin, eine Kokotte oder eine Ganovenbraut. Und junge Sozialwissenschaftler versuchen nicht selten, wenigstens so zu schreiben wie Adorno, Freud oder Bourdieu. Die temporäre, spielerische Identifikation mit einem fremden Ich fungiert in allen diesen Fällen als eine Art »Hilfs-Selbst«, das eine Zeitlang beim Vorangehen nützt, wie eine Krücke bei einem gebrochenen Bein.
Auch wenn die partiellen Identifikationen zeitlich und inhaltlich ausgedehnter werden, ist das noch ein normaler, oft wünschenswerter Vorgang. In diesem Fall spricht man von allgemeinen Ich-Idealen; Martin Luther, Alexander von Humboldt oder Albert Schweitzer waren lange Zeit geeignete Kandidaten für Jungen, Mädchen hatten hauptsächlich religiöse Vorbilder. Allgemein sind Ich-Ideale innere Wunschbilder, die jeder Mensch von sich selbst hat (vgl. Krause, 1998). Sie entstehen aus einzelnen Merkmalen geliebter, bewunderter oder auch gefürchteter Personen. Diese können real oder fiktiv sein, später im Leben können noch Erinnerungen an tatsächliche oder vermeintliche ideale Zustände hinzukommen – »bei Adolf«, »unter meinem Mann«, »als junger Bursche«. So sein wollen wie das Ich-Ideal verringert die Diskrepanz zwischen dem realen und dem idealen Selbst.
Das Starphänomen aber hat demgegenüber eine völlig neue Situation geschaffen. Nunmehr können Vorbilder marktnah hergestellt und überaus strahlend in Szene gesetzt werden. Zudem sind die elektronischen Helden unserer Tage unmittelbar präsent, beliebig verfügbar und dadurch psychologisch näher als die Heldenfiguren früherer Zeiten. Dadurch werden vorübergehende Identifizierungen leichter zu starren Idolisierungen: Nur wie und ganz so wie das Vorbild. Solche Verhärtungen finden sich häufig bei Menschen mit einer Störung der Selbstwertregulation, sie besonders haben eine Neigung zu heftigen, zugleich aber unrealistischen Idealisierungen (Krause, 1997).
Und
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