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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Pan
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Fällen jedoch ist das Medium nicht die Ursache der Affekte, vielmehr sind dies fast immer nicht-mediale Ereignisse. Aber es trägt durch die Art und Weise der Berichterstattung über das Ereignis wie über die Reaktionen der Menschen dazu bei, daß aus starken Gefühlen Affekte werden.
    Fernsehen hat also einen erheblichen Einfluß auf die Stimmungen, Gefühle und Affekte der Zuschauer. Diese wissen und nutzen das aktiv zum Management ihrer Stimmungen und Gefühle und, in gewissem Maße, auch ihrer Affekte. Inzwischen ist Fernsehen sogar in erster Linie ein emotionales Erleben geworden, das insbesondere den jüngeren Zuschauern vor allem Spaß, Spannung und Entspannung vermitteln soll. Allerdings sind sie dabei alles andere als die Herren des Verfahrens, vielmehr unterliegen sie dabei – ungewollt und unbemerkt – einem subtilen Einfluß des Mediums, und zwar je mehr sie fernsehen um so intensiver (Dehm, 2003). Als Personalisierung und Emotionalisierung hatten wir die Entwicklungstrends des Mediums allgemein bestimmt, sie sind auch die Leitsätze der heimlichen education sentimentale seiner Zuschauer.
    Und diese können wir nun noch etwas genauer beschreiben. TV dramatisiert, liebt theatralisches Verhalten, drückt Gefühle übertrieben aus, ist ständig auf der Suche nach Sensationen, zeigt und evoziert viele, schnell wechselnde Emotionen, ist stark sexualisiert und bevorzugt attraktive Medienpersonen. Erinnerlich erfolgt auch die emotionale Ansteckung vor allem durch Personen, die starke Emotionen deutlich ausdrücken; angesteckt werden u.a. Menschen, die ihre eigene Identität durch Beziehungen zu anderen definieren. Es findet sich (inzwischen) Altbekanntes: Dramatisierung, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen, andauerndes Verlangen nach Aufregung, oberflächliche und labile Affektivität, unangemessen verführerische Erscheinung sowie übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität, das waren auch die emotionalen Eigenschaften des Histrio. So muß man denn sagen: Hinsichtlich der Behandlung von Emotionen ist das Fernsehen ein histrionisches Medium, und in diesem Sinne prägt es auch die Stimmungen, Gefühle und Affekte seiner Zuschauer.

 10. Denken – Heimlicher Erzieher Fernsehen
    Am 25. Dezember 1895 brach im Indischen Salon des Grand Cafe am Boulevard des Capucines in Paris fast eine Panik aus. Auslöser war ein Film, der bei der weltweit ersten öffentlichen Kinovorführung der Gebrüder Lumière ebendort gezeigt wurde. Zur Aufführung kamen u. a. La sortie des usines Lumiere, L'arroseur arrose und L'arrive d'un train en gare. Bei letzterem passierte das Malheur: Hier wurde nämlich unmittelbar von vorn ein in den Bahnhof La Ciotat einfahrender Zug gezeigt, und die Zuschauer glaubten, der Zug rase auf sie zu (Morin, 1958). Dieses Erlebnis führte aber keineswegs dazu, daß die nachfolgenden Aufführungen ausfallen mußten. Im Gegenteil, aus anfangs 35 zahlenden Zuschauern wurden schnell 2.500 pro Woche. Auch der fünf Jahre später vorgestellte erste Western der Filmgeschichte The Great Train Robbery arbeitete mit einem ähnlichen Effekt: In der Schlußszene schießt der Sheriff direkt in die Kamera, das Publikum war entsetzt, wähnte das Ziel des Schusses in seiner Mitte (Prokop, 1995).
    Einen Film richtig sehen, das mußte man offenbar erst lernen. Die Zuschauer in den Kindertagen des neuen Mediums konnten das noch nicht, zumindest Fiktion und Realität konnten sie nicht richtig auseinanderhalten. Aber auch richtig fernsehen muß man erst einmal lernen. Und nicht genug damit: Hat man es erst einmal gelernt, so beeinflußt es erst recht das Denken der Zuschauer. Wie dies geschieht, ist Gegenstand dieses Kapitels. Ob es einen Zusammenhang mit histrionischem Denken gibt, wird sich am Ende zeigen.
    Zunächst zum Unterschied von Realität und Fiktion: Die perceived-reality- Forschung(vgl. Übersicht bei Shapiro & Chock, 2003) zeigt, daß eine richtige Zuordnung u.a. von Darstellungsmerkmalen, von Inhalten und Nützlichkeit des Gezeigten abhängt. So wird Fiktion durch formale Merkmale wie Programmgenre, Musik, Gelächter, Zeichentrick oder bühnenähnliche Auftritte der Akteure angezeigt. Andere Genres, aber auch Hintergrundgeräusche und ungefüllte Pausen gelten als Merkmale von Berichten aus der Realität. Außer der grundlegenden Unterscheidung von Fiktion und Realität müssen auch formale Merkmale wie Schnitte und Szenenwechsel, Einstellungsgröße,

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