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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Pan
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Kameraperspektive und -winkel, Zeitlupe und -raffer usw. richtig verstanden werden. Die dazu notwendigen Denkoperationen werden televiewing Schemata genannt (Salomon, 1984), womit das Vorverständnis und die Erwartungshaltungen zum TV gemeint sind. Solche Schemata sind etwa ab dem zehnten bis zwölften Lebensjahr entwickelt, die jugendlichen Zuschauer können dann irrelevante Informationen übergehen und sich auf die wesentlichen Elemente von Sendungen konzentrieren. Ab diesem Alter gelingt dann auch die richtige Unterscheidung von Realität und Fiktion.
    Wie man das lernt? Durch Fernsehen. Es trägt selbst zum Erwerb der zu seinem Verständnis notwendigen mentalen Fertigkeiten bei. Dies wurde in Untersuchungen zum Stichwort cultivation of mental skills (Kultivierung mentaler Fertigkeiten) nachgewiesen (Salomon, 1981). Beispielsweise sahen Schüler aus achten Klassen Filme, in denen unterschiedliche Einzelheiten von Gemälden durch Zoom-Fahrten hervorgehoben wurden. Andere Versuchspersonen erhielten dieselben Details als Abfolge von Dias präsentiert. Eine dritte Gruppe erhielt lediglich die Dias mit dem gesamten Gemälde vorgeführt. Versuchspersonen, die bereits eine hohe allgemeine Fähigkeit zur Detailwahrnehmung hatten, verbesserten weder durch die Symbolsprache des Films noch durch die entsprechende Darbietung von Dias ihre Wahrnehmung. Aber die Werte der Schüler mit einer zuvor niedrigen Fähigkeit zur Detailwahrnehmung verbesserten sich vor allem unter der filmischen Zoom-Bedingung.
    Auch bei der Einführung der Sendung Sesamestreet in Israel wurden ähnliche Ergebnisse gefunden. Gefragt wurde bei Kindern im Vorschulalter und aus zweiten und dritten Klassen: Können sie einzelne Bilder zu stimmigen Bildfolgen ordnen? Erkennen sie einen Wechsel der Perspektive richtig? Finden sie Figuren wieder, die zuvor in einem Ganzbild gezeigt wurden? Nachdem die Sendung einige Zeit gelaufen war, wurden die Kinder erneut untersucht. Dabei fand sich ein überraschender Befund: Bei den Vorschulkindern nämlich zeigte sich überhaupt kein Zusammenhang zwischen dem Ansehen der Sendung und den untersuchten Fertigkeiten. Vermutlich verfügte diese Gruppe noch nicht über die im Test abgefragten Fertigkeiten. Die Kinder haben daher die entsprechenden Gestaltungselemente einfach ignoriert. Bei den Zweit- und Viertklässlern fanden sich hingegen deutliche Effekte. Sie waren zudem allesamt bei den Kindern aus der Mittelschicht ausgeprägter als bei den Kindern aus der Unterschicht. Festzuhalten bleibt also, daß mit Hilfe des Fernsehens spezifische mentale Fertigkeiten bei bestimmten Zuschauergruppen auch eingeübt werden, Fernsehen also bestimmte formale Aspekte des Denkens kultiviert (Salomon, 1981).
    Die Idee, daß die Beschäftigung mit einer konkreten Sache zugleich auch allgemeine Aspekte des Denkens trainiere, kennt man aus der Schule. Wer Lateinunterricht gehabt hat, wird sich an die Versprechungen der Lehrer erinnern, das Fach kultiviere auch das formale Denken. (Und an die damit verbundene Frage, warum man das formale Denken nicht besser direkt schult als über einen derart mühseligen Umweg.) In der Medienwissenschaft ist mit dem Gedanken der indirekten Kultivierung mentaler Fertigkeiten ein Name besonders verbunden: Marshall McLuhan. Von dem kanadischen Medienwissenschaftler stammt der berühmte Ausspruch: »The medium is the message.« (Zur Verdeutlichung seiner Ideen tauschte er später das Wort »message« gegen »massage« aus.) Seiner Ansicht nach besteht die entscheidende Wirkung von Medien nicht in der Übermittlung bestimmter Inhalte, sondern darin, daß die Art und Weise der Informationsübermittlung allgemein das Denken der Menschen ganzer Epochen verändert. Wie gesagt: Das Medium selbst – und nicht der Inhalt – ist die Botschaft (vgl. zum Folgenden Winterhoff-Spurk, 2001).
    Seine Theorie in groben Zügen: Die Geschichte der medienspezifischen kulturellen Entwicklung beginnt mit dem analphabetischen Zeitalter der Stämme und Horden. In dieser Zeit lebt der Mensch in kleinen sozialen Einheiten, Kommunikation erfolge ausschließlich mit Hilfe der gesprochenen Sprache und unter Verwendung aller Sinnesmodalitäten. Die Kommunikation erfordert zugleich kleine Siedlungseinheiten, bei denen die Möglichkeit unmittelbarer Sozialkontakte nicht durch überlange Wege erschwert ist. Die spezifische Wirkung des Mediums Sprache besteht darin, daß sie komplexe Denkstrukturen, die Speicherung von Erfahrungen (z. B. in

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