der besseren Inszenierung befindlicher Selbstdarsteller. Es zeigt sich, daß das Selbstverwirklichungsmilieu das Einfallstor für den neuen Sozialcharakter war. Die kollektive Erfahrung der Bindungsunsicherheit hat bei Ihnen den Boden für den histrionischen Sozialcharakter gelegt, der zu den entsprechenden histrionischen Einstellungen, Verhaltensweisen und Bedürfnissen führt. Zur Befriedigung dieser Wünsche bilden sich entsprechende Berufe und Berufsgruppen, die aus demselben Milieu kommen und durch ein Zusammenspiel von Medien und (histrionischer) Prominenz wieder in ihr eigenes Milieu, aber auch in andere Gruppen der Gesellschaft hineinwirken. So wird das Konzept der Individualität zur psychologischen Rationalisierung für eine auf Dauer krankmachende Lebenssituation, macht aus den Nöten einer bindungsunsicheren Generation gar eine soziale Tugend.
Und das hat seinen Preis: »Die Konsequenz ist, daß die Menschen immer nachdrücklicher in das Labyrinth der Selbstverunsicherung, Selbstbefragung und Selbstvergewisserung hineingeraten. Der (unendliche) Regreß der Fragen: ›Bin ich wirklich glücklich?‹, ›Bin ich wirklich selbsterfüllt?‹, ›Wer ist das eigentlich, der hier ich sagt und fragt?‹, führt in immer neue Antwortmoden, die in vielfältiger Weise in Märkte für Experten, Industrien und Religionsbewegungen umgemünzt werden. In der Suche nach Selbsterfüllung reisen die Menschen nach Tourismuskatalog in alle Winkel der Erde. Sie zerbrechen die besten Ehen und gehen in rascher Folge immer neue Bindungen ein. Sie lassen sich umschulen. Sie fasten. Sie joggen. Sie wechseln von einer Therapiegruppe zur anderen. Besessen von dem Ziel der Selbstverwirklichung reißen sie sich selbst aus der Erde heraus, um nachzusehen, ob ihre Wurzeln auch wirklich gesund sind« (Beck, 1986, S. 156).
Anders das Unterhaltungsmilieu: Genieße den Tag, das ist die Reaktion dieser Gruppe auf die zumindest ähnliche soziale Grunderfahrung der Bindungsunsicherheit. Schulze (1992) beschreibt sie als egozentrisch, narzißtisch, passiv genußbezogen, kognitiv einfach strukturiert, wenig reflektiert, körperfixiert, auf den Augenblick hin orientiert, an Stimulation und Action interessiert. Ihre engen Verwandten im SINUS-Modell, die Hedonisten, sind die spaßorientierte moderne Unterschicht, ständig auf der Suche nach Fun und Action. Sie machen sich wenig Gedanken über die Zukunft und befriedigen ihr stark ausgeprägtes Unterhaltungsbedürfnis im Hier und Jetzt. Fernsehen, Video, Computerspiele, Sport, Musik, Kino-, Disco- und Kneipenbesuche sind die entsprechenden Aktivitäten.
Was diesem Typus allerdings fehlt, ist eine ausgeprägte psychische, soziale und ökonomische Kompetenz zur Selbstdarstellung. In ihren Inszenierungen kopieren sie – meist später und in kommerzialisierter Form – die Stilelemente des Selbstverwirklichungsmilieus. Wenn sie mit eigenen Themen und Stilmitteln auffällig werden, dann zu den Bereichen Aggressivität und Sexualität. Die Männer bilden in Bodybuilding-Studios ihren Körper betont maskulin aus, vor allem Oberarme und Oberkörper werden vergrößert. Anschließend steigen sie in das mit Heckspoiler, extrabreiten Reifen, tiefergelegtem Fahrwerk, Chromauspuff und einer baßbetonten Lautsprecheranlage aufgerüstete Auto, um mit einem betont aggressiven Fahrstil ihren Traum von Freiheit, Autarkie und Wohlstand wenigstens »on the road« zu genießen. Ihre Freundinnen zeichnen sich durch eine lautstarke Sexualisierung des Auftritts aus; der Körper wird auch dann gern gezeigt, wenn er besser verhüllt werden sollte, er wird bunt tätowiert und reichhaltig gepierct.
Auf diesem Hintergrund wirkt schließlich das Fernsehen; von den Nutzungszeiten und -mustern her gesehen, ist sein Einfluß hier am stärksten. Das Unterhaltungsmilieu präferiert diejenigen Sendungen des Fernsehens, in denen die histrionischen Botschaften am intensivsten dosiert sind: Amerikanische Serien und Spielfilme, Talkshows und Reality-Formate, Comedies und Sitcoms. Dort finden sie die Vorbilder für ihre egozentrische Lebenshaltung und ihre ungelenken Inszenierungsstrategien. So fügt sich hier die Interaktion von sozialen Bedingungen, Milieumentalität und TV-Einfluß besonders deutlich: Es entsteht ein Typus, der leicht erregbar, suggestibel und emotional oberflächlich ist, sich als wenig interessiert, konzentrationsunfähig und ungebildet erweist, sein Verhalten an medialer Prominenz ausrichtet und sich obendrein
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