fehlen Freundschaft, örtliche Gemeinschaft und Zeit für die Kindererziehung. Insgesamt ist er in vierzehn Arbeitsjahren viermal umgezogen, aus der Sicht der amerikanischen Statistik hat er weitere sieben Umzüge vor sich. Mit »Birds of passage don't nest« beschreibt Putnam (2000, S. 90) die damit verbundene Haltung kurzfristiger und schwacher Bindungen an Menschen, Orte und Institutionen.
Das zweite Stichwort lautete: Medialisierung. Damit ist gemeint, daß sich die Medienszene in den letzten 30 Jahren erheblich verändert hat. Die erste Nachkriegsgeneration ist teilweise ja noch ohne Fernsehen aufgewachsen, hat dessen Anfänge miterlebt, durfte manchmal gar nicht oder oft nur wohldosiert zuschauen. Die heute 30jährigen sind hingegen die erste Generation, die von Beginn an mit dem Medium groß wurde. Und nicht nur das: Sie haben in ihrer Kindheit den »medienpolitischen Urknall« am 1. Januar 1984 miterlebt, den Beginn des kommerziellen Fernsehens in Deutschland. Das private Fernsehangebot entwickelte sich rasant, erfand neue Darstellungsformen und Genres, Erotik und Gewalt wurden gängige Stilmittel. In dieser Zeit wurde Fernsehen zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung der Deutschen, der durchschnittliche tägliche TV-Konsum stieg, wie erwähnt, von rund 2 Stunden im Jahr 1985 auf inzwischen rund 3,5Stunden täglich – Tendenz weiterhin steigend.
Wie reagieren die Kinder des Selbstverwirklichungs- und des Unterhaltungsmilieus, beide bereits in einem histrionischen Milieu aufgewachsen, nun auf diese Veränderungen?
Wir sehen zwei Möglichkeiten, die man mit dem Begriffspaar »progressiv-regressiv« bezeichnen kann. So nennt der Psychiater und Psychoanalytiker Mentzos (1999) zwei in der äußeren Erscheinung unterschiedliche histrionische Charaktertypen. Der progressive Typ stellt sich stärker, reifer, überlegener, sicher auch aggressiver dar, als er im Inneren tatsächlich ist; Mentzos (1999, S. 54 f.) spricht daher auch von »pseudo-progressiv«. Der endlos Frauen verführende Don-Juan oder der rothaarige, männermordende Vamp sind Beispiele für diesen Charaktertyp. Der (pseudo-) regressive Typ hingegen wählt den umgekehrten Weg, er gibt sich schwächer, unreifer, hilfloser und passiver als er tatsächlich ist. Die (scheinbar) hilflose Kindfrau oder der charmante, aber faule Sunnyboy wären Repräsentanten dieses Typs.
Zunächst zum Selbstverwirklichungsmilieu: Finden sich diese beiden Typen dort? Wir meinen: Ja. Als Beleg nehmen wir die jüngsten SINUS-Milieus, die »Modernen Performer« und die »Experimentalisten«. Beide haben eine gehobene Bildung, stehen also dem Selbstverwirklichungsmilieu nahe. Dieses Milieu hat sie aufgezogen, insofern wird dessen Mentalität im Kern auch hier zu finden sein. Sie geht jedoch in zwei unterschiedliche Richtungen:
Die Modernen Performer sind die progressiven Histrios. Sie wollen ein intensives Leben, in dem sie ihre beruflichen wie sportlichen Leistungsgrenzen erfahren können. Ihr ausgeprägter Ehrgeiz richtet sich auf »das eigene Ding«, die Selbständigkeit (Startups). Dabei haben sie nicht nur den materiellen Erfolg im Auge. Treibendes Motiv ist ebenso zu experimentieren, spontan Chancen zu nutzen, wenn sie sich auftun, und die eigenen Fähigkeiten als Ich-AG zu erproben. Mit dieser Grundhaltung sind sie die bösen Kinder des Selbstverwirklichungsmilieus. Bei ihnen ist die Idee vom sich selbst verwirklichenden Individuum in jeder Hinsicht zur vollen Marktreife entwickelt. Sie brauchen keine Rationalisierungen mehr, gehen nicht auf »Trips«, ihr Ziel ist Leistung und materieller Erfolg. Das Individuum wird zum Produkt, das sich am Markt gegen andere Produkte durchsetzen muß.
Der Marketing- und Kommunikationschef der österreichischen Industriellenvereinigung, Werner Lanthaler, und die Journalistin Johanna Zugmann haben diese Mentalität in dem Buch Die ICH-Aktie. Mit neuem Karrieredenken auf Erfolgskurs konsequent so zusammengefaßt (Lanthaler & Zugmann, 2000. S. 15 f.): »Karriere muß neu gedacht werden. Denn das Zeitalter der traditionellen Karrieren geht zu Ende ... Mit der ICH-Aktie setzen wir dem linearen ›Aufsteiger‹-Denken ein marktnahes Karriere-Konzept entgegen: Ihre Karriere-Stationen heißen nicht Schule, Universität, Bewerbung und verschiedene Jobs, sondern:
Die ICH-Marktvorbereitung: In dieser Phase kümmern Sie sich um Ihr marktfähiges Basiswissen – an der Schule, an der Uni, der Fachhochschule und überall dort, wo relevantes
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