zentralen Idee der inszenierten Individualität erstmals konkretisiert. Von dort aus hat er sich zunächst seitwärts, in das altersgleiche Unterhaltungsmilieu, später im Verlaufe von Sozialisationsprozessen auch in die jüngeren Milieus ausgebreitet. Aufgrund veränderter Sozialisationsbedingungen – Globalisierung und Medialisierung – radikalisieren die formal besser gebildeten Jüngeren das Konzept ihrer Elterngeneration in zweierlei Richtung, nämlich einmal zur (pseudo-progressiven) arbeitsmarktkonformen Ich-AG, zum anderen zur (pseudo-regressiven) eventorientierten Lifestyle-Avantgarde. Die jeweils gleichaltrigen, aber weniger Gebildeten verbleiben zunächst im Elternmilieu, werden aber sicherlich später – vulgarisiert und kommerzialisiert – den Lebens- und Inszenierungsstil ihrer altersgleichen Leitmilieus nachahmen. Da die ursprünglichen Innovatoren die zentralen Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer Jugend mit dem Älterwerden nicht völlig verändern und da der histrionische Sozialcharakter in den jüngeren Milieus aufgrund veränderter Sozialisationsbedingungen eher stärker ausgeprägt wird, tritt der neue Sozialcharakter nunmehr nicht nur deutlicher in Erscheinung als noch in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, er ist auch rein quantitativ auf dem Weg zum dominierenden Typus.
Zwar mag der Eindruck naheliegen, daß der durchsetzungfähige Jungmanager, der eventsüchtige und arbeitsscheue Lebenskünstler und der gebräunte, gepiercte und bodygebildete Jung-Prolo wenig gemeinsam haben. Aber so forsch die einen, so umtriebig die anderen und so auffallend die dritten nach ihrem Erscheinungsbild wirken mögen: Sie haben dennoch allesamt ähnliche Sozialisationsbedingungen, nämlich die wachsende Bindungsunsicherheit. Dieses Lebensgrundgefühl verbindet die drei Gruppen, ist der gemeinsame innere Kern ihres histrionischen Sozialcharakters, als dessen wesentliche äußere Merkmale Übererregbarkeit und emotionale Labilität, Aggressivität und Halsstarrigkeit, verführerisches Verhalten und sexuelle Probleme, Suggestibilität und aktive Abhängigkeitstendenzen, Egozentrismus und vor allem aber theatralisches Verhalten gelten.
Auf der Basis ihres gemeinsamen histrionischen Kerns agieren sie nur in je unterschiedlichen Rollen, zeigen unterschiedliche Konfigurationen des genannten Verhaltensinventars, so wie es das jeweilige Herkunfsmilieu und die dort übliche TV-Nutzung ihnen nahelegen. Beim Jungmanager mag es egozentrische Aggressivität, beim Lifestyle-Avantgardist theatralisch betonte Übererregbarkeit und bei der Prolo-Braut demonstratives verführerisches Verhalten sein, der innere Kern bleibt derselbe: »Das Band, das die 30-Jährigen verbindet, besteht aus Angst: Verarmungsangst ... Der typische 30-Jährige hat schon deshalb Schwierigkeiten ..., weil er, statt Gemeinsamkeiten zu betonen, eher darauf aus ist, sich von den Gleichaltrigen zu unterscheiden. Er besteht auf sozialer Ungleichheit, auf Glamour-Differenzen, ihm liegt daran, ein Coolness-Gefälle aufrecht zu erhalten. Und so kämpften die 30-Jährigen lieber untereinander ..., der Krieg gegen die Vorgänger-Generation blieb aus« (Fuchs, 2003).
14. Sozialverhalten – Die unstillbare Sehnsucht nach Stabilität
Etwa 40 bis 50% aller Wähler in Deutschland haben keine Parteienbindung mehr, sie entscheiden von Wahl zu Wahl neu, ob sie überhaupt zur Wahl gehen und wen sie wählen. Der Anteil der Wechselwähler steigt im längerfristigen Trend (Schulz, 1997).
Nach einer Umfrage des Gallup-Instituts aus dem Jahr 2003 haben 18% der deutschen Arbeitnehmer keine und 70% nur eine geringe emotionale Bindung an ihren Arbeitsplatz, diese Tendenz nimmt in den letzten drei Jahren zu (Pressemeldung des Gallup-Instituts vom 29. 10. 2003).
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 1991 136.317 Ehen geschieden, im Jahr 2002 waren es 204.210. Für die Zukunft ist damit zu rechnen, daß mehr als ein Drittel aller Ehen wieder getrennt wird (Emmerling, 2003).
Was haben diese drei Sachverhalte miteinander und mit dem Thema dieses Buches zu tun?
Das Thema dieses Kapitels ist die Frage nach Auswirkungen, die die allmähliche Diffusion des histrionischen Sozialcharakters in die Gesellschaft für die Gesellschaft hat. Gesellschaft realisiert sich für den Einzelnen vor allem in seinen sozialen Beziehungen, seien es reale oder parasoziale. Also ist zu fragen: Wie verhält sich der Histrio eigentlich gegenüber seinen
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