einer Partei auf ihren jeweiligen Spitzenkandidaten und auf dessen Image – bei gleichzeitiger Herabsetzung des Gegenkandidaten (= »negative campaigning«). Wahlkämpfe bestehen infolgedessen nicht mehr aus der öffentlichen Debatte von Ideen und Programmen, sondern aus einem Wettstreit der Kandidaten. Für erstere hat das Medium offenbar auch keine Zeit mehr: 1968 konnte ein Politiker noch 43 Sekunden ohne Unterbrechung in den Abendnachrichten des amerikanischen Fernsehens sprechen, 1980 verblieben ihm noch 12 und 1992 schließlich nur noch 8 Sekunden – Tendenz fallend. Was das konkret bedeutet, haben Frantzich und Percy (1994, S. 178) am Beispiel der Rede des Antonius gezeigt. »Mitbürger, Freunde, Römer! Hört mich an: Begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen. Was Menschen Übles tun, das überlebt sie, das Gute wird mit ihnen oft...«, hätte er 1968 noch im TV sagen dürfen. 1992 ist daraus »Mitbürger, Freunde, Römer« geworden. In den amerikanischen Wahlkämpfen überwiegt inzwischen die Berichterstattung über ihren jeweiligen Wettkampfcharakter gegenüber den politischen Inhalten (Hallin, 1992). Mediale Wahlkämpfe stellen geradezu Jungbrunnen für narzißtische Persönlichkeiten dar.
Insofern ist die Hypothese, Narzißmus sei das Hauptmotiv für die Berufswahl von Politikern, schon plausibler als der alleinige Verweis auf das Machtmotiv. Aber reicht diese Persönlichkeitsstruktur als Erklärung aus? Die Antwort kann auch hier nur sein: Ein überdurchschnittliches Maß an Narzißmus ist zwar ganz sicher notwendig, unter den Bedingungen der Mediengesellschaft ist es, zumindest beim Kampf um Spitzenpositionen, aber allein nicht hinreichend. Nötig ist vielmehr auch ein überdurchschnittliches Maß an Begabung zum öffentlichen Auftritt, zur gekonnten Selbstinszenierung. »Wer Bürgermeister oder Ministerpräsident werden will, der macht Persönlichkeitsveränderungen durch. Er muß lächeln, auch wenn ihm nicht danach zumute ist. Er muß freundlich interessiert schauen, auch wenn er eigentlich explodieren will. Er muß sich bei ›Mainz wie es singt und lacht‹ einen Hut aufsetzen lassen, und manchmal muß er auch bei Rudi Carrell in Quizsendungen Fahrrad fahren«, so beschreibt es der Altpolitiker Peter Glotz (1989, S. 6) anschaulich.
Nein, weder der reine Machtmensch noch der reine Narzißt ist der ideale Kandidat für politische Spitzenämter in der Mediengesellschaft. Der Kandidat muß noch mehr aufzuweisen haben: Dramatisierung der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen, andauerndes Verlangen nach Aufregung, Anerkennung durch andere, Aktivitäten, bei denen die betreffende Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, oberflächliche und labile Affektivität, übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität, eine Tendenz zu aggressivem Verhalten, Eigensinn und egozentrisches Verhalten – wir treffen auf einen alten Bekannten. Es ist der Histrio.
Erst die These vom histrionischen Sozialcharakter vermag eine befriedigende Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu geben: Untersuchungen zeigen, daß insbesondere bei unpolitischen Wählern ohne Parteibindung das Image eines Kandidaten einen erheblichen Einfluß auf die Wahlentscheidung hat. Und das Image besteht aus den drei Aspekten: professionelle Kompetenz, Charaktereigenschaften und Auftreten. Der Spitzenkandidat muß also zeigen, daß er politische Situationen richtig einschätzen und Probleme lösen kann. Er muß persönliche Integrität, Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit ausstrahlen. Vor allem aber muß er gut aussehen, telegen sein und Charisma haben. Das stellt er dadurch her, daß er in Talkshows hauptsächlich über sich selbst spricht (Bußkamp, 2002). Starruhm genießen demzufolge Politiker, denen vom Publikum die Eigenschaften »ist ein Fernsehprofi«, »ist unterhaltsam«, »ist originell«, »ist schlagfertig«, »ist ein Schlitzohr«, »könnte eine Talkshow leiten«, »ist witzig«, »ist ein Siegertyp« zugeschrieben werden (Peters, 1996). Man kann inzwischen nachgerade von einem medialen Persönlichkeitskult sprechen. Mindestens aber sind moderne Politstars Paradebeispiele für den histrionischen Sozialcharakters der Gegenwart.
Leider ist es mit dieser Diagnose nicht getan, denn mindestens eine – für das Funktionieren der demokratischen Gesellschaft lebenswichtige – Frage ist noch zu beantworten: Wie kann es sein, daß die Mehrheit der Bevölkerung mit der
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