Inszenierung von Politik als theatralischem Spektakel ganz zufrieden ist? Da gibt es zunächst eine simple sozialpsychologische Gesetzmäßigkeit, die »fundamental attribution error« genannt wird (vgl. etwa Aronson et al., 1999, S. 127f.). Damit ist die allen Menschen eigene Tendenz gemeint, das beobachtbare Verhalten anderer Menschen auf deren Persönlichkeit und nicht auf situative Ursachen oder Zwänge zurückzuführen. Ein Autofahrer, der uns durch Langsamfahren behindert, kann nicht fahren, ist ein Anfänger oder gar ein Idiot. Daß sein Auto möglicherweise einen Defekt hat, daß die Straße rutschig ist oder daß vor ihm ein Radfahrer fährt, ziehen wir nur selten in Erwägung. Dieser Effekt tritt besonders dann auf, wenn man lediglich Beobachter des Verhaltens anderer Menschen ist: So wird das von uns ja immer nur beobachtete Verhalten der anderen eher mit deren Persönlichkeit, das eigene hingegen eher aus der Situation heraus erklärt. Eine der Ursachen für diese Tendenz liegt darin, daß man die von einer Situation ausgehenden Einflüsse nicht so leicht sehen kann. Der fernsehende Mensch ist aber immer in der Position des Beobachters, insofern neigt er auch bei der Berichterstattung über politische Fragen zur personenbezogenen Interpretation: Politische Probleme und Erfolge werden demnach Akteuren und nicht Situationen zugeschrieben (vgl. dazu Preiser, 1989). Die Medien fördern diese Tendenz – wie oben dargelegt – durch eine personenbezogene politische Berichterstattung.
Personenbezogene Politikdarstellung und eine entsprechende Zuschreibung von Verantwortung ist eine Sache, beides erklärt aber noch nicht, warum Politiker inzwischen auch noch die Qualitäten von Showstars haben müssen. Auch zur Beantwortung dieser Frage ist die These vom histrionischen Sozialcharakter tauglich: Zum Star gehören ja auch immer seine Fans. Deren starke Beeinflußbarkeit läßt sie leicht ins Schwärmen geraten, sie füllen ihr schwaches Innenleben wenigstens zeitweilig durch Identifizierungen mit idealisierten, starken Personen. Dazu zählen – wenigstens in Wahlkampfzeiten – auch mediale politische Heidenfiguren: »Wenn Politiker zu Entertainern werden, mutieren auch die Wähler zu Fans«, schreibt dazu der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Strate (1994, S. 22, eigene Übersetzung).
Ein gravierendes Problem dabei ist, daß solche Idealisierungstendenzen anfällig für starke politische Figuren mit Charisma machen. In Krisensituationen können so auch Figuren an die Macht kommen, die sie nicht wieder hergeben wollen. In demokratischen Gesellschaften droht dem idealisierten Politiker allerdings eher eine andere Gefahr: Die Medien bauen ja nicht nur politische Prominenz in der oben skizzierten Weise auf. In der Tradition des kritischen Journalismus, nun aber eng mit der Tendenz zur Personalisierung von Politik verwoben, sind sie ebenfalls ständig auf der Suche nach persönlichen Fehlern und Verfehlungen von Politikern. Die Boulevardisierung politischer Informationssendungen verlangt geradezu nach dem täglichen Politikerskandal. Man kann den Mechanismus des Aufbaus und der anschließenden Zerstörung von politischer Prominenz, die endlose Abfolge von Idealisierung und Depotenzierung, geradezu als die histrionische Falle der Medien bezeichnen.
Wie reagiert darauf nun der histrionische Zuschauer, dessen Heldenfiguren in den Schmutz gezogen werden? Seine histrionische Bindung an den charismatischen Politiker ist – wie jede Idealisierung – für Enttäuschungen besonders anfällig. Einerseits wird die Identifizierung mit ihm gesucht, gerade weil er dauerhaft Schutz, Geborgenheit, Macht und Unbezwingbarkeit verspricht. Anders als ein Filmstar kann kein Politiker dies alles im alltäglichen politischen Geschäft auf Dauer auch gewährleisten. Er muß ja auch unpopuläre Entscheidungen treffen, wird in der politischen Alltagsarbeit zwangsläufig Fehler begehen und hat im Verlaufe seiner Karriere unvermeidlich Niederlagen einzustecken. Solche Schwächen, medial entsprechend aufbereitet, verzeiht der histrionische Wähler seinem Idol nicht. Von Versagern wendet er sich enttäuscht ab und sucht – bestenfalls – neue, diesbezüglich noch unverbrauchte Projektionsflächen. Auf Dauer aber besteht die Gefahr, daß er sich für Idealisierungsturbulenzen weniger anfällige Personen aus anderen Bereichen sucht – z.B. Showstars oder Filmschauspieler – und dem System »Politik« für immer den Rücken
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