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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Pan
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Machtbedürfnis, eine Vision, die Fähigkeit zur überzeugenden Artikulation dieser Vision, ein außergewöhnlicher Verhaltensstil, ein Image als Anwalt von Veränderung und eine hohe Sensibilität gegenüber den Möglichkeiten der sozialen Umwelt – das soll nach Lage der organisations-psychologischen Literatur auch die charismatische Führungspersönlichkeit ausmachen (vgl. Conger & Kanungo, 1988a). Solche Persönlichkeiten bieten Identifikationsmöglichkeiten und stabilisieren so das Selbstwertgefühl und die Motivation. Und tatsächlich: Charismatische Führer werden nicht nur von ihren Untergebenen als überaus effektiv eingeschätzt, sie spornen diese auch zu höheren Leistungen an als nicht charismatische Führer (House et al., 1988).
    Allerdings: Charisma ist nichts, was man hat oder durch Trainingsmaßnahmen erwerben kann, es wird jemandem von anderen zugeschrieben. Aber wie erfahren die Untergebenen davon, daß ihr Vorgesetzter über alle diese Eigenschaften verfügt? Diesen Prozeß beschreibt die Theorie der symbolischen Führung: Führung wird hier aus der Perspektive der Bedeutung gesehen, die Verhaltensweisen von Vorgesetzten für die Mitarbeiter haben.
    Allgemein gesehen, entstehen durch Symbolhandlungen, Zeremonien und Rituale Unternehmensmythen, die dem Mitarbeiter Orientierung in der Organisation bieten. Vieles davon wird über betriebsinterne Medien – Betriebszeitschriften und »Business TV« -, manches über die Massenmedien weitergegeben. Je größer die Organisation ist, um so mehr muß sich die charismatische Führungskraft auf diesen Weg begeben. Und damit beginnen ähnliche Prozesse, wie wir sie oben für Berufspolitiker beschrieben haben. Wirtschaftliche Vorgänge unterliegen im Fernsehen denselben Gesetzmäßigkeiten wie politische: Sie werden personalisiert, beschleunigt und emotionalisiert. Der geschickte Selbstdarsteller macht sich dies zunutze. Er muß ja nicht einmal tatsächlich eine Vision von seiner Organisation haben, eine hohe Sensibilität gegenüber den Möglichkeiten der sozialen Umwelt und die Fähigkeit zur überzeugenden Artikulation einer Vision reichen ja aus. Stellt er sich womöglich durch einen außergewöhnlichen Verhaltensstil auch noch als Anwalt von Veränderungen dar, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis ihm von seinen Untergebenen Charisma zugeschrieben wird. Der Punkt ist hier: War womöglich vor einigen Jahren noch die narzißtische Führungskraft besonders erfolgreich, so werden durch die zunehmende Bedeutung der Medien für die Prozesse der symbolischen Führung nun zunehmend histrionische Persönlichkeitsmerkmale bedeutsam: Egozentrisch ist auch der Histrio als Vorgesetzter, aber er versteht es besser als der Narzißt, andere Menschen manipulativ oder aggressiv für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Und schließlich: Er ist allemal der bessere Selbstdarsteller.
    Je bedeutsamer also die Aspekte der medialen Selbstdarstellung in Unternehmen, die Prozesse der symbolischen Führung und die Entwicklung von charismatischen Führungspersönlichkeiten werden, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß der Histrio auch hier den Narzißten verdrängt. Auch das ist für die Unternehmen nicht ohne Risiko: Zwar kann der Histrio motivieren und begeistern, immer wieder Neues in Gang setzen und effektvoll präsentieren, die Gefahr aber besteht darin: »Ein grandioses Feuerwerk, das schnell verglüht, betriebsame Hektik, allzuoft mehr Schein als Sein, mangelnde langfristige Planung und ein Fehlen jeglicher Liebe zum Detail. Beim Auftauchen der ersten Schwierigkeiten droht häufig der Zusammenbruch. Versprechungen werden gemacht, Hoffnungen geweckt, aber wenig davon eingelöst. Unzuverlässigkeit und die Neigung zum Intrigantentum erschweren den Umgang mit diesem Persönlichkeitstypus« (Hesse & Schrader, 1994, S. 122).
    Warum aber ist es so, daß besonders in Krisenzeiten charismatische Führungspersönlichkeiten gefragt sind? Die Antwort findet sich erneut in histrionischen Charaktermerkmalen: Der Histrio erlebt ökonomische und soziale Krisen als besonders bedrohlich, treffen sie ihn doch an seiner schwächsten Stelle – der Bindungsunsicherheit. Denn es ist ja nicht nur eine übertriebene Sorge, wirtschaftliche Krisen bedeuten ja immer auch realistische Sorgen um den Arbeitsplatz und um die soziale Sicherheit. Sind die Sozialbeziehungen des Histrio schon in ruhigeren Zeiten immer auch von der Suche nach stabiler Führung motiviert, so gilt dies erst recht

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