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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Pan
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für Zeiten des Umbruchs. Dankbar nimmt er das Angebot des charismatischen Führers an, ihm seine Ängste abzunehmen. Für ihn und nicht für die Firma wirft er sich in die Bresche. Damit ist die Beziehung von Vorgesetztem und Untergebenem genau der eingangs genannten Idealisierungs-Depotenzierungs-Dynamik unterworfen. Sobald die charismatische Führungskraft etwas tut, das den Idealisierungen seiner histrionischen Bewunderer widerspricht, kehrt sich die Idealisierung in ebenso nachhaltige Abwertung um. Und das zeigt sich dann in den eingangs erwähnten Daten des Gallup-Instituts: Die 2001 Befragten gaben denn auch als Gründe für ihr fehlendes Engagement an, der Vorgesetzte lobe ihre Arbeit nicht genug, interessiere sich nicht für ihre Ansichten, fördere ihre persönliche Entwicklung nicht. Die demotivierten Mitarbeiter fühlen keine emotionale Bindung mehr an das Unternehmen. Dadurch entsteht ein gesamtwirtschaftlicher Schaden von etwa 250 Milliarden Euro jährlich (Pressemitteilung des Gallup-Instituts vom 29. 10. 2003).
    Nun ist es ja nicht so, daß sich die Aufwertung der Fähigkeit zur Selbstdarstellung nur auf die vertikale Dimension, also auf die Beziehung von Vorgesetzten und Untergebenen beschränken würde. Dort mag sie für Zwecke der Charismagenese besonders wichtig sein, aber inzwischen muß sich auch der einfache Mitarbeiter um sein Image gegenüber seinen gleichgestellten Kollegen sorgen. Wie die Führungsforschung zeigt, läßt er sich auch dabei von einem charismatischen Vorgesetzten insofern inspirieren, als er dessen Verhalten nachahmt (House et al., 1988). Das klingt erst einmal positiv, der organisatorische Alltag zeigt aber auch reichlich dunkle Seiten: Am deutlichsten wird diese Doppelbödigkeit am Personalkonzept der amerikanischen Beratungsfirma McKinsey. Im Jahr 1997 begann McKinsey eine Untersuchung von 27 amerikanischen Firmen, mit der man herausfinden wollte, was die besten Firmen hinsichtlich der Personalführung von den anderen Firmen unterscheidet (vgl. zum Folgenden Blomert, 2003). Man fand heraus, daß diese Firmen kontinuierlich neue Spitzenkräfte rekrutierten, ihnen immer höhere Gehälter gaben und sie in immer neuen Positionen einsetzten. Diese Talentorientierung wurde unter dem Stichwort »The war for talent« in kurzer Zeit zum neuen Dogma des amerikanischen Managements; die Beratungsfirma McKinsey überzeugte eine ganze Reihe namhafter Firmen wie General Electric, AOL Time Warner, American Express, Enron und andere von ihrem Konzept. So attraktiv die Idee aus der Sicht der talentierten Nachwuchsabsolventen auch klingen mag, sie war zugleich mit einer brutalen inneren Differenzierung verbunden: Jedes Jahr wurden die jungen Talente nach drei Kriterien eingeteilt. Kategorie A wurde überproportional gefördert und entlohnt, Kategorie B ermutigt und bestätigt, und Kategorie C mußte fortgebildet oder entlassen werden. Bei Enron wurde dieses System besonders konsequent angewendet: Hier erhielt die Kategorie A eine um zwei Drittel höhere Besoldung als die nächste Kategorie, Kategorie B bekam keine Zulagen und Kategorie C – jedes Jahr 10% der Mitarbeiter – wurde entlassen. Da die Kriterien der Zuordnung nicht klar waren, produzierte und förderte das System den Typ des smarten Selbstdarstellers, der frei von Skrupeln in jeder Situation das von seiner Umwelt erwartete und honorierte Selbstbild vorführt. Bindungen an Kollegen oder an Organisationen entstehen so jedenfalls nicht, die jungen Leute hatten es ja unmittelbar vor Augen, wie die Firma mit den älteren Mitarbeitern und mit ihren weniger erfolgreichen Altersgenossen verfuhr. Ihnen war vom ersten Tag an klar: »The Company never cares.«
    So findet sich nach allem auch im täglichen Arbeitsverhalten in Organisationen sowohl bei den Führungskräften wie bei den Mitarbeitern eine Zunahme histrionisch getönter sozialer Verhaltensweisen. Aber selbst wenn es bei den parasozialen Beziehungen im politischen Bereich und den sozialen Beziehungen im Arbeitsbereich so sein sollte, der Mensch hat ja immer noch seine Familie und seine Freunde. Im privaten Bereich kann er sich von der Mühe der Selbstdarstellung erholen, die histrionischen Verhaltensweisen mit dem »dress code« in den Schrank hängen.
    Wenn's doch so wäre.
    Ehen in Deutschland sind gegenwärtig aber alles andere als erholsame Idyllen:
    Die Deutschen heiraten seltener: Von 1991 bis 1999 ging die Zahl der Erst-Ehen von rund 310.000 auf rund 270.000 zurück, die

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