obwohl es dafür keine Anzeichen gab, überdachte die schreckliche letzte Möglichkeit, die Flucht alleine zu versuchen. Doch abgesehen von den zusätzlichen Gefahren für Körper und Seele (so wußte sie nicht, ob Roper nicht vor der Tür lauerte), spürte sie, daß sie außerstande war, Mimi dem, was sich möglicherweise ereignen konnte, alleine zu überlassen. Sie setzte ihren Rucksack auf den Boden neben Mimis. Wenn er gepackt war, hatte sie stets Mühe, ihn lange Zeit zu tragen.
»Na schön. Warten wir, bis es hell wird. Das dürfte wohl nicht mehr lang dauern.«
Mimi sagte nichts. Margaret schaute sie an und sah zum ersten Mal, daß Mimi weinte. Margaret schlang noch einmal die Arme um ihren jetzt nachgiebigen Leib, und die beiden Frauen küßten sich zärtlich. Sie kamen aus sehr verschiedenen Verhältnissen, und es war das erste Mal, daß sie dergleichen getan hatten.
In Margarets Hirn entstand die verzweifelte Vorstellung, es könnte ihnen jemand zu Hilfe eilen. Bestimmt kamen irgendwelche Besucher ins Haus, und weder sie noch Mimi waren kraftlose alte Frauen. Margarets Augen wanderten unwillkürlich zu dem Messer in der Kehle ihres Opfers.
Lange Zeit saßen die beiden Frauen zusammen und sprachen wenig. Margaret hatte schon seit Stunden nicht mehr an die Eisenbahn draußen gedacht. Nach jenem eigentümlichen Zug, der einem Traum geglichen hatte, war keiner mehr vorübergerollt. Dann erklang aus sehr weiter Ferne der luftige Geist einer Lokomotivpfeife; zutiefst körperlos zu dieser Zeit und an diesem Ort, doch voller Versprechen für Margaret.
Sie erhob sich und zog die Vorhänge vor einem der sonderbaren, vergitterten Fenster beiseite.
»Sieh mal, es dämmert.«
Ein Streifen von Tageslicht schob sich langsam über den Horizont und kündigte einen schönen Tag an, eine Seltenheit in solch gebirgiger Landschaft. Margaret, nach Taten dürstend, sah sich geschwind im Zimmer um. Sie selbst trug Farben, die im schwachen Licht wohl nicht hervorstechen würden. Mimis Grau war kaum hilfreicher. Man konnte nur eins tun. Sie sprang durch das Zimmer und riß ein großes Stück Stoff aus der blutgetränkten Bluse der toten Frau. Dann, als Mimi im zunehmenden Licht zum ersten Mal die Leiche bemerkte, stieß Margaret das schmale Fenster auf und winkte zuversichtlich dem sich nähernden Arbeiterzug.
Die nächste Schneise
I
ch komme Sie besuchen«, sagte der Mann. »Morgen. Morgen nachmittag.«
Er sah ihr fest in die Augen, aber er lächelte dabei ganz gewiß nicht.
Aber Noelle lächelte. »Sie wissen nicht, wo ich wohne«, sagte sie.
»Das weiß ich sehr wohl«, sagte der Mann.
Es wäre ihm bestimmt ein leichtes gewesen, Simon und Mut danach zu fragen, die die Gastgeber der Party waren, aber es war eine seltsame Vorstellung, daß er dies getan haben sollte, bevor er Noelle überhaupt begegnet war, bevor er sie in Augenschein genommen hatte, und sicher nicht, bevor er von ihr gehört hatte. Vor diesem Augenblick hatte er nicht durchblicken lassen, daß er überhaupt irgend etwas über sie wußte. Es wäre Noelle absurd vorgekommen, ihn zu fragen, woher er Bescheid wußte.
»Wir können es nicht dabei belassen«, sagte der Mann mit einigem Nachdruck. »Das geht nicht.«
»Vielleicht doch«, entgegnete Noelle.
»Ich kenne die Gegend um Woking recht gut«, sagte der Mann. »Ich werde Sie morgen gegen drei Uhr abholen, und wir werden im Wald spazierengehn.«
Es war richtig, daß es dort, wo Noelle lebte so etwas wie Wald fast in jeder Himmelsrichtung gab, aber das traf auf viele Wohngebiete in Surrey zu. Vor allem gab es einen Wald auf der anderen Straßenseite, direkt vor ihrer Haustür. »Ich verspreche Ihnen nicht, daß ich da sein werde«, sagte Noelle. »Das kann ich nicht.«
»Dann werde ich einfach auf mein Glück vertrauen«, sagte der Mann. »Wir dürfen es nicht dabei belassen, und hier werden wir keine Fortschritte machen.«
»Wie heißen Sie eigentlich?« fragte Noelle.
Dieser Ton ergriff im Lauf der Jahre Besitz von ihr. Sie bedauerte das, aber man kann nicht erwarten, Leute en masse zu finden, die die eigene Privatsprache sprechen. Sie wird zwangsläufig ausgehöhlt durch die Lingua franca.
Geradeso, als wollten sie die Ansicht des Mannes bekräftigen, daß eine weitere Verständigung unmöglich sei, klappte Mut in diesem Augenblick den Plattenspieler auf, und Simon schaltete die neue Neonbeleuchtung ein. Simon und Mut absolvierten Parties, als handele es sich um eine Generalprobe. So
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