wenig wie möglich wurde dem Zufall überlassen. Noelle fragte sich immer, was wohl geschehen würde, wenn es jemals zu einer Aufführung kommen sollte.
Nach wie vor ohne ein Lächeln war der Mann im Lichterglanz und Lärm verschwunden. Noelle fragte sich, ob er sich gerade mit jemand anders verabredete – vielleicht mit den North Downs als Kulisse. Andererseits mochte er ebensogut auf dem Heimweg sein. Für ihn hatte die Party wohl ihren Zweck erfüllt.
Nur wenn Melvin, ihr Gatte, auf einer seiner Geschäftsreisen war, ging Noelle überhaupt auf diese Parties, wo fast jeder jünger war als sie selbst. Aber das war nichts Besonderes, und sie machte sich klar, wie glücklich sie sich schätzen durfte, daß sie Leuten wie Simon und Mut zur Last fallen konnte. Nicht daß speziell Mut sehr viel jünger gewesen wäre. Noelle und Mut hatten sich vormals ein Appartement geteilt, der damals noch blutjunge Simon war bereits jahrelang Muts Liebhaber gewesen, als Noelle Melvin noch gar nicht kennengelernt hatte. Wenn Mut nicht im Zimmer war, konnte sie sich ganz auf eine Miniaturleidenschaft oder einen raschen Annäherungsversuch von Simon verlassen. Es war eine Tradition, die Bestand hatte.
Wie die Dinge lagen, schien sich immer noch eine erstaunliche Zahl von Männern ein wenig in Noelle zu verlieben und süße, zärtliche Gespräche mit ihr den Dingen vorzuziehen, die anderswo zu haben waren. Noelle hatte nie gewußt, ob es nur ihre äußere Erscheinung oder etwas weniger Augenfälliges war, das sie anzog. Sie machte sich oft klar, wie wenig Grund zur Klage sie hatte.
Noelle war absolut aufrichtig gewesen, als sie sagte, daß sie weder etwas versprechen könne noch wolle. Melvin kam manchmal vorzeitig zurück. Soweit sie erkennen konnte, war nichts Unerfreuliches oder Befremdliches daran. Es schien normal, daß Melvin von den Passatwinden der Geschäftswelt hierhin und dorthin getragen wurde, jedem erging es so. Vorbei sind die Tage überschaubarer Fron auf hohen Kontoristenstühlen in unkündbarer Stellung. Das Geschäftsleben hat sich vollständig verändert, wie die Geschäftsleute zu betonen pflegen.
Außerdem konnten Judith oder Agnew früher aus der Schule kommen. Das kam häufig vor. Und wenn sie bei der Ankunft eines der beiden Kinder zu Hause war, mußte sie sich Zeit nehmen; entweder um eine Geschichte voller Groll und Aufruhr anzuhören, oder um besorgt herauszufinden, was sich diesmal zugetragen hatte.
Aber als es so weit war, schlug die Uhr, die sie von ihrem Vater geerbt hatte (sie war ein Geschenk seiner Firma gewesen, weniger als ein Jahr vor seinem Tod), drei, und die Türklingel erklang leise, noch bevor das letzte dumpfe Echo verhallt war.
Der Mann streckte ihr höflich seine Hand entgegen. »Mein Name ist John Morley-Wingfield. Mit Bindestrich, wie ich leider gestehen muß. Bringen wir das gleich zu Anfang hinter uns.«
Sein Gesichtsausdruck war ernst, aber nicht traurig. Sein braunes Haar war ansehnlich, aber nicht übermäßig gelockt und hatte jetzt vielleicht seine eindrucksvollste Phase, da es sich stellenweise lichtete, aber noch nicht allzu sehr ergraut war. Seine braunen Augen waren einnehmend, ohne gefühlsselig zu wirken. Seine Kleidung war zwanglos, aber nicht nachlässig.
Zögern wäre für Noelle zwecklos gewesen.
»Kommen Sie einen Moment herein«, sagte sie. »Meine Kinder kommen in einer Stunde aus der Schule.«
»Sind sie gute Schüler?«
»Es geht.«
Sie führte ihn in den Raum, den Melvin als Lounge bezeichnete und für den sie selbst keinen besonderen Namen hatte.
»Nehmen Sie Platz; ich bringe uns einen Tee.«
»Wir müssen uns genügend Zeit für unseren Spaziergang nehmen.«
Sie sah ihn an. »Der Wald ist nicht besonders groß. Nicht in dieser Gegend.«
Er setzte sich auf das Sofa mit den Lederpolstern und betrachtete seine hochglanzpolierten braunen Schuhe. »Ich glaube, daß alle Wälder einander ähneln, ganz gleich wie groß oder wie klein sie sind. Innerhalb gewisser Grenzen natürlich. Die Wirkung ist dieselbe. Wenigstens auf mich.«
»Man verirrt sich wirklich nicht in diesen Wäldern«, erwiderte Noelle, »das ist ganz unmöglich.«
Er blickte zu ihr auf. Man sah ihm an, daß er all das für Zeitverschwendung hielt und daß er mit ihr aufbrechen wollte.
»Ich beeile mich mit dem Tee«, sagte Noelle. »Fühlen Sie sich wohl? Vielleicht wollen Sie einen Blick hier hinein werfen?« Sie reichte ihm die letzte Nummer des ›Statist‹. Sie erwähnte
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