nicht, daß ihr Mann die Zeitschrift abonniert hatte. Der Mann, der ihre Adresse gekannt hatte, wußte wahrscheinlich auch über ihren Gatten Bescheid.
»Oder vielleicht ist das hier unterhaltsamer.«
Sie hielt ihm eine ältere Ausgabe des »National Geographical«-Magazins hin. Auch hier war Melvin der Abonnent, obwohl er darüber klagte, daß er nie dazu kam, es zu lesen, so daß die Nummern unsortiert herumlagen, bis Noelle den Kindern einen Armvoll zur Ausstattung des Sandkastens gab.
Noelle ging in die Küche.
Als sie mit dem Tablett zurückkam, war der Mann schon wieder aufgestanden und betrachtete rastlos die Bücher. Auch sie gehörten Melvin. Noelles befanden sich im oberen Stockwerk, wegen Regalknappheit noch nicht einmal alle ausgepackt.
»Milch und Zucker?«
»Ein klein wenig Milch, bitte. Keinen Zucker.«
»Ich weiß, daß es nicht richtig ist«, sagte Noelle.
Er beugte sich über sie, damit sie ihm seine Tasse geben konnte. Ein schwacher, aber auffälliger Duft ging von ihm aus, der Duft eines sehr guten Clubs.
»Vorsicht«, sagte Noelle.
An seinem Tee nippend, streifte er im Zimmer umher, als sei es voller Menschen – oder vielleicht auch Bäume – und als sei jeder Rastplatz besetzt oder aber knorrig und schartig.
Nun sprach er. »Sie haben ganz wundervolles Haar.« Er stand vor dem großen Fernsehapparat.
Noelle richtete sich ein wenig auf, sagte aber nichts.
»Und wundervolle Augen.«
Noelle konnte nichts dagegen tun, daß sie beinahe merklich lächelte.
»Und eine wundervolle Figur. Man könnte sich keine schönere Gestalt vorstellen.« Es war ein Problem, daß Noelle ganz einfach nicht wußte, wie wahr oder unwahr diese Behauptungen waren. Es war ihr immer unmöglich erschienen, sich darüber eine klare Meinung zu bilden. Genauer gesagt, sie hatte manchmal einen bestimmten Eindruck und manchmal empfand sie fast das genaue Gegenteil. Man mußte, wenn man konnte, einen Mittelwert bilden aus den Ansichten, die andere äußerten oder andeuteten; und diese anderen schienen allzu oft unaufrichtig zu sein.
»Möchten Sie ein Stück Schokolade?« fragte sie und hielt ihm den Teller hin, den Arm in voller Länge ausgestreckt. Sie trug ein Kleid mit feinen kurzen Ärmeln. Es war immerhin August. Melvin haßte vor allem den August in Pittsburgh, wo er sich von Berufs wegen aufhielt.
»Nichts zu essen, danke.«
Der Mann stand nun auf gleicher Höhe mit dem Astronautenglobus und den Skisport-Journalen.
»Ich mag Ihr Kleid.«
»Es ist sehr schlicht.«
»Sie haben einen wundervollen Geschmack.«
»Bitte seien Sie nicht dermaßen zuvorkommend.«
»Sie wirken auf mich so vollkommen.«
»Nun, das bin ich keineswegs.« Aber sie erwähnte keinen bestimmten Mangel.
»Noch etwas Tee? Geben Sie mir Ihre Tasse.«
Er überquerte den Teppich nach Eskimo-Machart gemessenen, federnden Schrittes.
»Dann müssen wir aber gehen«, sagte er. »Unbedingt. Ich will Sie in Ihrem wahren Element sehen.«
Sie reichte ihm die gefüllte Tasse, ohne ihn anzuschauen. »In einem haben Sie recht«, sagte sie. »Ich liebe unsere Wälder wirklich. Ich wünschte nur, sie wären größer.«
»Sie lieben auch jegliche Musik«, sagte der Mann, der jetzt vor ihr stand.
»Ja.«
»Und die letzten Augenblicke vor Sonnenuntergang auf dem Land?«
»Ja.«
»Und die einsame Ruhe der Mittagsstunde?«
»Normalerweise muß ich das Essen für die Kinder vorbereiten.«
»Und echte Seide auf der Haut getragen?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich das jemals getan habe.«
Er stellte die Tasse recht energisch zurück auf das Tablett. Noelle bemerkte, daß sie noch lange nicht leer war.
»Auf geht’s. Lassen Sie uns jetzt gehen.«
Sie ging mit ihm hinaus, wie sie war. Er folgte ihr den schadhaften Betonweg mit seiner ausgebleichten Farbenvielfalt hinunter. Der Grund dafür, daß das Tor immer noch knarrte, war, daß die Kinder das Geräusch liebten. Sie konnten stundenlang darauf vor- und zurückschwingen und verschmähten den Gedanken, die Scharniere zu ölen.
Sie überquerte mit dem Mann die Straße und wunderte sich, daß kein Verkehr vorbeirauschte. Alles Leben hielt einen Augenblick lang inne. Sie erklommen die verwitterte Lehmböschung, die in den Wald führte.
»Sie sind der Führer«, sagte der Mann.
»Ich versichere Ihnen, daß dies nicht der New Forest ist.«
»Es ist viel reizvoller.«
Es traf sich, daß Noelle dem beinah zustimmte, oder zumindest wußte, was der Mann damit sagen wollte. Melvin und sie fuhren
Weitere Kostenlose Bücher