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legte ihn neben sich auf das Lederpolster. Noelle ging zum Sofa herüber und hob ihn auf. Sie behielt ihn fest in der Hand.
    »Möchten Sie noch ein Glas Sherry?«
    »Wenn Sie möchten.«
    Sie füllte die Gläser und kehrte zurück zu ihrem Platz am Kaminvorsatz. »Früher«, sagte sie, »wußte ich gar nicht, daß Sie in der Nachbarschaft wohnen. Sie hätten es mir sagen müssen.«
    »Aber das stimmt doch nicht!« rief er. »Ich kannte diese Gegend nur von meiner Zeit in Sandhurst. Was für Zeiten! Welch Gelächter, welcher Gram.« Er hob sein Glas. »Ich bringe einen neuen Toast aus. Auf eine leuchtende Zukunft, die sich aus den Plagen der Vergangenheit erheben möge!«
    Wieder ging Noelle darauf nicht ein.
    »Wir müssen damit rechnen, daß wir ein wenig Zeit benötigen werden«, sagte der Mann sachlich. »Es wird die Krönung meines Lebens sein, diese Aufgabe erfüllt zu sehen.«
    Mit einem Zug leerte Noelle ihr Glas.
    »Da dringt man bis zur nächsten Schneise vor«, sagte sie. »Man geht weiter, und hinter den Bäumen und Büschen auf der anderen Seite steht ein Fachwerkhaus mit vielen großen Fenstern. Und darin wohnen Sie .«
    »Fachwerkhäuser haben für gewöhnlich keine großen Fenster oder sollten sie zumindest nicht haben. Ich würde niemals in solch einem Haus wohnen.«
    Noelle drehte den Bumerang ein ums andere Mal herum.
    »Ich habe Sie gesehen«, sagte sie.
    Dann warf sie den Bumerang zu Boden. Gegen den Eskimo-Teppich wirkte er wie ein beliebiges modernes Gemälde.
    »Welche Rolle spielt das denn!« rief Noelle, halb an sich selbst gerichtet und kaum an den Mann.
    Doch es spielte eine Rolle: Das Haus war nur zehn bis fünfzehn Minuten weit entfernt, selbst wenn man sich der Geschwindigkeit seiner Kinder anpaßte und sich dann eher langsam durch die Büsche und das Unterholz vorarbeitete.
    »Ich kam in der Hoffnung, bei möglichen Schwierigkeiten behilflich sein zu können«, sagte der Mann, »und offensichtlich ist dies die erste. Es ist nicht weit. Ich schlage vor, wir gehen hin und suchen dieses Haus. Wir kennen beide den Weg recht gut. Nebenbei wird Ihnen die frische Luft guttun.«
    »Ich glaube, es wird wieder regnen«, sagte Noelle.
    »Wir werden zurück sein, bevor es anfängt.«
     
    Die Schlammschicht auf dem Waldpfad erinnerte Noelle unweigerlich an das Begräbnis. Sie war überrascht gewesen, daß Melvin keine Feuerbestattung verfügt hatte, aber das Testament hatte sich in fast jeder Hinsicht als wenig aussagekräftig erwiesen.
    Während des Begräbnisses hatte es fortwährend genieselt, aber jetzt war die Luft nur mehr von durchdringender Feuchtigkeit.
    Noelle trug ihren modischen Regenmantel, der Mann jedoch war augenscheinlich ohne Schutz. Noelle befürchtete, daß die Bügelfalten seiner Hosen leiden würden, ja daß der feine Stoff seines Anzugs insgesamt leiden und seiner Form und Festigkeit verlustig gehen könnte. Seine Schuhe waren bereits verschmiert und bespritzt. Noelle trug Stiefel.
    »Sind Sie sicher, daß Sie damit ins Gelände wollen?« fragte sie ihn.
    »Ich beabsichtige, ein paar Schwermutsgeister auszutreiben«, sagte er.
    Sie stiegen den Abhang zur Lichtung hinunter. Die häufigen Schauer hatten alles in Matsch verwandelt. Plastiktüte war nicht mehr von zerquetschtem Luftballon, Zigarettenschachtel nicht mehr von Puffreispackung zu unterscheiden. Die Kräfte der Natur arrangierten die Entsorgung auf ihre Weise.
    »Und nun zur nächsten Schneise!« kommandierte der Mann jovial.
    »Das wird vielleicht nicht gehen«, rief Noelle. »Die Büsche sind triefnaß. Sie werden sich Ihren Anzug ruinieren. Ich habe nicht daran gedacht.«
    Sie ersparte sich eine Bemerkung über seinen Hut, der noch unpassender war. »Ich habe in letzter Zeit nicht besonders auf das Wetter geachtet«, sagte Noelle.
    »Wir werden im Nu hindurch sein«, sagte der Mann. »Wenn Sie es schon einmal gemacht haben, wissen Sie doch Bescheid.«
    Sie vermutete, daß er sich über Melvins Schicksal im klaren sein mußte, obwohl er nicht darüber sprechen würde, möglicherweise niemals wieder.
    »Es geht mir nur um Ihren Anzug«, sagte Noelle. »Daß es nicht sehr mühsam ist, weiß ich.«
    Sie durfte ihm nicht den leisesten Zweifel daran gestatten, daß sie zumindest einmal hier gewesen war und jenes Haus gesehen hatte. »Man muß sich für etwas Derartiges bei solch einem Wetter wirklich passend anziehen.« Melvin hatte es immer übertrieben, wie er so viele Dinge übertrieben hatte, aber im Grunde hatte er

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