man dankbar sein konnte, wenn man sich der Mühe unterzog, das Leben auf diese Weise zu betrachten.
Außerdem schien all der entstellende Stacheldraht verschwunden oder entfernt worden zu sein – zumindest auf der Teilstrecke, die Noelle unmittelbar in beiden Richtungen überblicken konnte.
Die Hecke um den Garten war noch da, niedrig und schmal, nun jedoch beklagenswert zerfetzt und streckenweise verdorrt.
Das kostspielig aussehende Fachwerkhaus schien verschwunden. Ach, des Menschen Gewißheiten!
Noelle zwang sich, in Regenmantel und Stiefeln die Linie zu überschreiten, die einst der Stacheldraht markiert hatte.
In diesem Augenblick wurde ihr klar, daß, obwohl Stacheldraht bei ihren Freunden in schlechtem Ruf stand, bei denen, die zu diesem Mittel griffen, wohl häufig größtenteils menschenfreundliche Motive eine Rolle spielten. Für Melvins Freunde wäre dies eine ausgemachte Sache gewesen. Was sie jetzt erlebte, glich einem Aufmarsch zum Sturmangriff.
Sie blickte über die zerzauste Hecke nach unten.
Dort erstreckte sich ein Loch oder eine Höhlung von gewaltigem Ausmaß, riesengroß im Durchmesser und weit tiefer, als Noelle zu schauen vermochte.
Überall in der Tiefe waren Männer mit Bauarbeiten beschäftigt, das nahm sie jedenfalls an. Hunderte von Männern, Tausende, hätte sie beinahe vermutet. Männer, die mit nahezu allem beschäftigt waren, was der Verstand ersinnen konnte – und nicht nur Noelles ausgeglichener und nüchterner Verstand.
Bald bemerkte sie, daß auch Frauen dort unten arbeiteten: in erster Linie an Schreibmaschinen, an Rechenmaschinen, an Computern. Noelle war all dies vertraut aus den Tagen, als sie selbst in Büros gearbeitet hatte, was Mut noch immer tat.
Der Lärm war sicherlich für jeden Zuhörer mit normalem menschlichem Empfinden völlig ausreichend; aber Noelle fiel rasch auf, daß er längst nicht laut genug war für all das, was sich dort tatsächlich abspielte. Der Vergleich mit der modernen Baustelle von durchschnittlicher Größenordnung fiel ihr wieder ein. Eigentlich hätte der Lärm viel, viel lauter sein müssen. Dessen war sie sicher. Vielleicht war dies der beunruhigendste Gedanke überhaupt an dem Tag, da ihr Mann zu Grabe getragen worden war.
Noelle wandte sich um und stand mit dem Rücken im rechten Winkel zur Gartenhecke. Sie hielt nach allen Richtungen Ausschau nach dem Mann, der ihr diese seltsame Erfahrung an einem solchen Tag der Trauer aufgenötigt hatte.
John Morley-Wingfield war, wie das Drahtgewirr, nicht mehr zu sehen. Seine Erscheinung hatte nicht mehr Substanz als sein Name.
Natürlich konnte er ungeachtet seiner Worte am letzten Dickicht gescheitert sein, konnte sich schließlich doch entschlossen haben, auf seine Kleidung Rücksicht zu nehmen, konnte sogar den Rückzug angetreten haben, bevor er die Moosfläche ganz überquert hatte, und Noelle in aller Ruhe auf jener Seite der erbaulichen Schneise erwarten, wo sie zu Hause war.
Sein Beweis wäre bis zu einem gewissen Punkt geführt. Noelle hatte selbst gesehen, daß es im wahrsten Sinne des Wortes kein Fachwerkhaus mit übergroßen Fenstern gab. Möglicherweise war Mr. Morley-Wingfield in Wahrheit ein Bodenspekulant, der sein Anwesen abgerissen hatte, um mehr oder weniger an derselben Stelle eine Fabrik oder ein Bürohochhaus zu errichten. Nur wenige von Melvins Freunden hätten daran viel auszusetzen gehabt, und einige von ihnen hätten argumentiert, daß eine derartige Umwandlung Arbeitsplätze auf vielen verschiedenen Ebenen schaffen und daher zum Fortschritt beitragen würde.
Die Luftfeuchtigkeit war jetzt in heftigen Niederschlag übergegangen, und zudem hatte der Himmel sich zu verfinstern begonnen. Während des ganzen Erlebnisses hatte Noelle unterschwellig registriert, wie spät am Tag es bereits war. Möglicherweise war daher der zweite beunruhigende Umstand, daß all diese Leute zu dieser Stunde noch arbeiteten.
Man konnte jetzt nur noch von strömendem Regen sprechen. Noelle fragte sich, ob rechter Hand die Schneise hinauf wohl ein Weg aus dem Wald hinausführte: eine Abkürzung. Sie wollte nicht noch einmal in ihrem Leben, wie kurz oder lang es auch sein würde, auf jene Moränen von vertrocknetem oder aufgeweichtem Müll stoßen, dort, wo die Leute kehrtmachten. Ganz zu schweigen von jenen kunstvoll gestalteten öffentlichen Sitzplätzen, die mit den Kerben oder Krusten von Inschriften übersät waren.
Aber der rechte Weg entlang der unbekannten moosbedeckten
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