0004 - Götterdämmerung
der den soeben geleerten Teller von sich schob. Mehrmals machte er Anstalten, sich zu erheben, aber er schien sich nicht sicher zu sein. Dann endlich gab er sich einen Ruck, stand auf und schritt zum Nebentisch. Er blieb vor Perry stehen, sah diesen fragend an und murmelte dann: „Sie gestatten? Ich möchte Sie etwas fragen."
Er deutete auf den Stuhl neben Perry. Perry nickte erstaunt. Innerlich wappnete er sich gegen einen eventuellen Angriff. Ein kleiner Druck auf den Gürtel, und er wäre von einer Energieglocke umgeben.
„Bitte."
Der Fremde setzte sich und lächelte krampfhaft. „Ich kann mich irren, mein Herr, aber zwei Faktoren sagen mir, daß ich es nicht tue. Sicher, die Ähnlichkeit ist nur vage, aber ich könnte beschwören, Sie schon einmal gesehen zu haben. Doch nicht das allein ließ mich vermuten, daß Sie Perry Rhodan sind - nein, fürchten Sie nichts. Es liegt mir fern, Sie zu verraten. Dazu haben Sie viel zuviel für uns alle getan. Aber - ich weiß nicht, wie ich es Ihnen beibringen soll, Mr. Rhodan. Lesen Sie Zeitungen?"
Perry schüttelte den Kopf.
„Im Augenblick nur wenig. Sicher, in den letzten beiden Tagen …"
„Vor einer knappen Woche stand allerhand über mich darin, wenigstens in Brisbane. Niemand glaubt es, aber es ist wahr. Ich bin John Marshall, wenn der Name Ihnen etwas sagt."
Perry entsann sich. Er hatte die kurze Notiz gelesen - und vergessen. Sensationsmache, mehr nicht.
Doch plötzlich gewann diese Notiz wieder an Bedeutung. Sein logisch arbeitender Verstand setzte ein und gab ihm in Sekunden die Antwort auf seine Frage, warum dieser Mann ihn erkannte hatte. Er hob die Augenbrauen.
„Sie sind der Gedankenleser, Mr. Marshall? Sie saßen neben mir am Tisch und fingen meine stark konzentrierten Gedanken auf - und so erfuhren Sie, wer ich bin. Stimmt's?"
John nickte.
„Es ist also schon gefährlich, seine Gedanken frei Spazierengehen zu lassen", schüttelte Perry den Kopf. „Wie lange können Sie das schon?"
„Seit meiner Kindheit, wenn auch nur unbewußt. Erst vor einer Woche wurde mir klar, daß ich Telepath bin. Aber ich weiß nicht warum."
„Wann wurden Sie geboren?"
„Ende 1945."
Möglichkeiten schossen durch Perrys Gehirn, Kombinationen kreuzten sich. Schlüsse boten sich an - und dann stand die Lösung vor ihm.
„Hiroshima!" sagte er sachlich. „Die Strahlung! Es muß also noch mehr Mutanten geben."
„Mutanten?"
„Veränderung der Erbmasse, erblich. Der Strahlungseinfluß wirkte auf Ihr embryonales Gehirn bevor Sie geboren wurden."
In der winzigen Pause, die Perry machte, entstand vor seinem geistigen Auge wieder eine gewaltige Zukunftsvision. Mutanten! Eine völlig neue Perspektive! Wenn es ihm gelang, die fähigsten natürlichen Mutanten der Erde zu finden und für sich zu verpflichten, konnte er eine Truppe aufstellen, die nicht zu schlagen war. Vielleicht würde er diese Truppe später einmal benötigen ... Er stoppte den Gedanken, denn er sah Johns verblüfftes Gesicht. Fast hätte er vergessen, daß der andere ja seine Gedanken zu lesen verstand. Er versuchte, sein Bewußtsein abzuschirmen, indem er sich zwang, an etwas Belangloses zu denken.
„Warum haben Sie mich angesprochen?"
John Marshall lächelte unsicher.
„Es war meine Absicht, aus meinen Fähigkeiten Kapital zu schlagen", bekannte er freimütig. „Seit gestern verhandelte ich mit verschiedenen Institutionen. Man bot mir horrende Summen. Aber ich glaube, es gibt eine größere Aufgabe für mich. Sie deuteten die Möglichkeit soeben in Ihren Gedanken an."
Perry atmete auf. „Sie wären bereit, für mich zu arbeiten?"
„Ja."
„Ich kann Ihnen noch kein Geld bieten."
„Es gibt Dinge, die an Wert jedes Geld übertreffen - Ideale, um ein Beispiel zu nennen."
„Ideale? Wie soll ich das verstehen?"
„Wofür kämpfen Sie gegen eine ganze Welt? Um der Macht willen allein?"
„Ich kämpfe gegen den Nationalitäten- und Ideologiendünkel."
„Eben! Ich bin also bereit, wenn Sie mich wollen."
Perry sah ihn prüfend an. Der Mann gefiel ihm, abgesehen von seinen Fähigkeiten. Er streckte ihm die Hand entgegen. John Marshall nahm sie und gab den festen Druck zurück. Dann sah er plötzlich an Perry vorbei. Hinter der Sonnenbrille kniffen sich seine Augen zusammen. Ein angestrengter Zug trat anstelle der Freude. Dann flüsterte er: „Man ist Ihnen auf der Spur, Rhodan. Der Wagen drüben - er hält gerade neben Ihrem Taxi - gehört zur Polizei. Zwei Männer sind ausgestiegen -
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