0005 - Der Scharfrichter
Atem wehte Zamorra entgegen, als ihr Angstschrei ertönte. Doch das Amulett war zu nahe vor ihr. Sie konnte dem Wirkungsbereich nicht mehr entweichen.
Mit einem raschen Seitenblick sah Zamorra, daß die vier übrigen Dämonen nur zögernd herankamen.
Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Das Exempel mußte statuiert werden.
Kurz entschlossen stieß Zamorra das Amulett mitten in das fleischlose Gesicht der Dämonin hinein. Er spürte keinen Widerstand.
Jäh erstarben die gellenden Schreie.
Die Fratze der Dämonin zerbröckelte wie Porzellan, das in kochendes Wasser getaucht wird. Auf die gleiche Weise löste sich ihr übriger Körper auf. Doch es gab für sie keine Rückkehr ins Reich der Finsternis.
Die geheimnisvolle Macht des silbernen Amuletts verhinderte das.
Zamorra hatte den ersten seiner Gegner vernichtet.
Kurze Angstschreie waren hinter ihm zu hören. Er wirbelte herum, sah die vier bärtigen Fratzen, wie sie zur Eichentür tanzten, sich auf dem Weg dorthin zu entmaterialisieren begannen.
Die schillernden Lichtstrudel erfaßten sie von unten her, züngelten und kreisten an ihren Gestalten empor, bis von dem menschlichen Äußeren der Dämonen nichts mehr blieb.
Zamorra folgte ihnen mit dem Amulett. Gerade rechtzeitig verhinderte er, daß sie die Eichentür vor ihm zuschlugen.
Die Lichtstrudel entfernten sich mit orkanartigem Brausen durch das Labyrinth der unterirdischen Gänge.
Aufatmend setzte Professor Zamorra seinen Weg fort. Es gelang ihm, sich zu orientieren. Er hatte sich die Gänge, durch die ihn die Dämonen geschleift hatten, gut genug eingeprägt.
Als er nach etwa zehn Minuten die Tür erreichte, die zur Halle führte, waren die Lichtstrudel verschwunden.
Tödliche Stille lastete im alten Herrenhaus der Burg. Und tiefe Finsternis. Doch für Zamorra war dies kein Hindernis. Seine Augen hatten sich daran gewöhnt.
Er näherte sich dem Fuß der Treppe. Mit einem raschen Seitenblick bemerkte er, daß die beiden Polizeibeamten noch immer wie versteinert neben dem Tisch mit den Ansichtskarten und Prospekten standen.
Der Bann der Dämonen war noch nicht von ihnen gewichen.
Ein innerer Zwang trieb Zamorra die Treppe hinauf. Die Fußbodendielen knarrten unter seinen Schritten, als er zu dem Raum lief, in dem er die Utensilien des Scharfrichters wußte.
Die Tür mit dem Buchstaben C stand weit offen.
Zamorra trat ein, betätigte den Lichtschalter.
Im gleichen Augenblick hatte er die schreckliche Gewißheit.
Das Richtschwert hing an seinem Platz im Schaukasten.
Doch dunkelrotes Blut klebte an der handtellerbreiten Klinge.
Zamorra erschauerte ungewollt.
Auch die Kleidung des Scharfrichters befand sich unverändert an ihrem Platz, als sei sie nie von dort entfernt worden.
Die Siegel, mit denen die Polizeibeamten die vordere Klappe des Schaukastens verschlossen hatten, waren unversehrt.
Nichts hätte darauf hingedeutet, daß der Scharfrichter in dieser Nacht erneut sein grausiges Handwerk ausgeübt hatte - wenn nicht das Blut seines Opfers an dem Richtschwert gewesen wäre.
Zamorra sah sich nur noch kurz in dem Raum um. Es gab keine Blutstropfen auf den Fußbodendielen. Nichts war an den Vitrinen und übrigen Schaukästen verändert.
Es stand schon jetzt fest, daß die Polizeibeamten auch diesmal keinerlei Spuren finden würden.
Bis auf das Blut. Die Laboranten von Scotland Yard würden einwandfrei feststellen, daß es von dem Menschen stammte, der in dieser Nacht unter dem Schwert des Scharfrichters von Llangurig Castle gestorben war.
Professor Zamorra löschte das Licht und lief geräuschlos die Treppe hinunter.
Im gleichen Moment begannen die Polizeibeamten, sich zu bewegen. Doch sie würden noch Minuten brauchen, ehe sich der Bann der Dämonen löste.
Zamorra schlüpfte rechtzeitig zur Tür hinaus und tauchte in der Dunkelheit des Burghofes unter. Es wäre sinnlos gewesen, sich jetzt mit den Männern von Scotland Yard abzugeben. In ihrer Ratlosigkeit hätten sie ihn womöglich verdächtigt und seinen weiteren Kampf gegen die Dämonen von Llangurig Castle zunichte gemacht.
Nein, durch solche engstirnigen Überlegungen durfte er sich jetzt nicht aufhalten lassen. Als er das Burgtor hinter sich schloß, war er erleichtert.
Er hatte seinen ersten Sieg gegen die Mächte der Finsternis errungen. Doch das täuschte ihn nicht darüber hinweg, daß er von nun an mehr denn je auf der Hut sein mußte. Denn der Zorn der Dämonen würde sich auf ihn konzentrieren. Sie kannten die Kraft
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