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0006 - Ich stürmte das graue Haus

0006 - Ich stürmte das graue Haus

Titel: 0006 - Ich stürmte das graue Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delfried Kaufmann
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Ehrenwort, daß ich nicht nach Ihrem Namen frage, aber Sie müssen wirklich einsehen, daß das FBI unmöglich die Verfolgung eines Verbrechens aufnehmen kann, über das er nichts weiß.«
    »Sie werden mich auch nicht zwingen?« fragte er. »Sicherlich sind Sie bewaffnet?«
    »Ich verspreche Ihnen, daß Sie nach der Unterredung hingehen können, wohin Sie wollen. Es wird Ihnen niemand folgen.«
    Er holte tief Luft.
    »Kennen Sie den Soberlin Place?«
    »Natürlich.«
    »Dort befindet sich ein Nachtbriefkasten, in den ich schon mal meine Post warf. Bitte, seien Sie nach Einbruch der Dunkelheit dort, zwischen acht Uhr und halb neun. Ich werde kommen. Glauben Sie nicht auch, daß ich ruhig dorthin gehen kann? Schließlich kann es mir niemand übelnehmen, wenn ich meine Post fortbringe.«
    »Wer soll es Ihnen übelnehmen?«
    »Nun — er selbstverständlich.«
    »Nein ich glaube nicht, daß es Verdacht erregt, wenn Sie dorthin gehen.«
    Ich hörte ihn tief seufzen.
    »Bis heute abend also«, sagte er. »Und vielen Dank vorläufig.«
    Ich wartete, bis er eingehängt hatte. Dann legte auch ich den Hörer auf.
    Ich ging hinüber in unser Office, in dem Phil saß.
    »Das war ein verrücktes Telefongespräch«, sagte ich und erzählte es ihm.
    »Soberlin Place«, wiederholte er, als ich unseren Treffpunkt nannte. »Das ist ein kleiner Platz in Green Village, sozusagen altes New York. In der Mitte ist ein Kinderspielplatz, der abends natürlich verwaist ist. Riecht nach Falle, Jerry!«
    »Ich wüßte nicht, wer mir augenblicklich eine Falle stellen sollte. Die Leute, die das Bedürfnis haben könnten, sich an mir zu rächen, sitzen alle. Warum übrigens überlegen? Wir werden sehen.«
    ***
    Fünf Minuten vor acht stieg ich aus dem Taxi, das mich vom Hauptquartier zum Soberlin Place gebracht hatte. Ich hatte auf meinen eigenen Wagen verzichtet. Der Anrufer sollte nicht beim Anblick eines wartenden Autos das Gefühl haben, es könnten noch mehr Polizisten darin auf ihn lauern.
    Das Wetter war unfreundlich. Es regnete dünn, aber unaufhörlich. Ich schlug den Kragen des Trenchcoats hoch und rückte den Hut zurecht.
    Der Platz war klein, hundert Yard im Quadrat vielleicht.
    Der Soberlin Place war eine der wenigen ruhigen Ecken von New York.
    Ich fand den Nachtbriefkasten neben der Lücke in der Ligusterhecke, die den Eingang zum Spielplatz bildete, und ich postierte mich dort. Ich war ein wenig gespannt auf den Mann, der so viel auf dem Kerbholz haben sollte, daß er sich ein Jahr lang dafür erpressen ließ, und im Unterbewußtsein wurde ich das Gefühl nicht los, daß ich einfach auf den Arm genommen worden war.
    Die Zeiger meiner Armbanduhr krochen langsam auf halb neun, und noch war nichts passiert. Hin und wieder ein vorbeifahrender Wagen, drei oder vier Leute, die in irgendeines der Häuser gingen, ein Liebespaar, das Arm in Arm vorbeischlenderte. Ich begann zu überlegen, ob ich tatsächlich hochgenommen worden war oder ob der Anrufer vor seiner Absicht zurückschreckte.
    Ich zündete eine neue Zigarette an, und als ich das Streichholz fortwarf, sah ich im ungewissen Licht der beiden kläglichen Straßenlaternen einen Mann auf mich zusteuern.
    Er kam aus dem äußeren linken Winkel des Platzes, wo die 74. Straße einmündete, ging schräg über den Fahrdamm, betrat den Bürgersteig der Platzmitte und streifte dann eng an der Ligusterhecke entlang auf den Briefkasten zu.
    Ich erkannte gleich, daß es mein Mann sein mußte. Ich sah es an der unruhigen Art, in der er sich umschaute, an seinem hastigen und doch stolpernden Gang, an dem tief in die Stirn gezogenen Hut.
    Zwanzig Schritte trennten uns noch. Ich stieß mich von dem Briefkasten ab, an den ich mich bisher gelehnt hatte, um ihm entgegenzugehen, als seine Gestalt plötzlich in grelles, schneidendes Licht getaucht wurde.
    Er verharrte jäh und warf den Kopf hoch. Ich sah sein weißes Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen, und gleichzeitig erkannte ich, woher das Licht kam. In einer Toreinfahrt auf der anderen Straßenseite stand ein Wagen, dessen Scheinwerfer aufflammten. In derselben Sekunde sprang der Motor an. Ich verstand.
    »Weg!« schrie ich. »In die Hecke! Springen Sie!« Ich riß an meinem Trenchcoat, daß die Knöpfe sprangen, während ich meine Warnung schrie.
    Es nutzte nichts. Der Mann stand wie angewurzelt. Zwei einzelne Schüsse peitschten über den Soberlin Place — Gewehrschüsse. Ich sah den Körper des Mannes hochzucken, aber ich sah ihn nicht

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