0006 - In den Klauen der Mumie
Feldon von seiner Entdeckung in Kenntnis gesetzt. Man hatte eine Notbeleuchtung in diesen Raum gelegt und auch dort einen Mann zurückgelassen.
Die Mumie kam trotzdem.
Der Beamte, der hier unten Dienst tat, war noch jung. Siebenundzwanzig. Er hatte eine sportliche Figur, dichtes blondes Haar und hellblaue Augen. Larry Novak hieß er. Und er war leider nicht nur jung, sondern auch sträflich sorglos. Dem Licht zugewandt, saß er auf einem Stuhl. Er hatte ein Taschenbuch mitgebracht und las mit Interesse Desmond Morris' Sachbuch »Der nackte Affe«. Die Pistole steckte in seiner Schulterhalfter. Er hätte sie besser auf die Knie gelegt, und er hätte verdammt gut daran getan, den Deckel, durch den Professor Zamorra nach unten in die Kanalisation geschlüpft war, nicht aus den Augen zu lassen.
Keine Sekunde.
Doch Larry Novak glaubte nicht an den Unsinn von Monstern. Für ihn war eines klar: Die Morde hatte ein ganz gewöhnlicher Sterblicher getan. Ein Mensch. Und als solcher war er verwundbar.
Das dachte Larry Novak.
Er hörte nicht, wie sich der schwere Deckel langsam hob. Er sah das gefährliche Monster nicht aus dem schwarzen Schacht auftauchen, sondern las ahnungslos weiter. In diesem Augenblick war bereits gewiß, daß Larry Novaks Leben bloß aus siebenundzwanzig Kapiteln bestand. Für jedes Jahr ein Kapitel. Und dann keines mehr.
Als er umblätterte, stieg die Mumie aus dem Schacht. Als er den ersten Absatz gelesen hatte, stand die gefährliche Mumie dicht hinter ihm.
Als er die Seite zu Ende gelesen hatte, erlosch sein Leben. Das Monster hatte den rechten Arm gehoben und ihn dann mit unglaublicher Kraft nach unten sausen lassen. Dieser eine Schlag hatte genügt, um Larry Novaks Schädeldecke zu zertrümmern. Das Ungeheuer fing den jungen Polizeibeamten auf, schleppte ihn zum Schacht, der zur Kanalisation führte, und warf ihn da hinunter.
Dann verließ sie unbemerkte den Raum, um sich irgendwo im Theater das nächste Opfer zu suchen…
***
Der Schrank, das Nachttischchen, der Schreibtisch, der beim Fenster stand, waren von Nicole Duval bereits gründlich durchstöbert worden. Nun riß sie den ersten von insgesamt vier Koffern von der Gepäckablage.
Herrenwäsche, Bücher, Schuhe. Damit war der Koffer bis obenhin voll.
Nicole stellte das schwere Ding wieder an seinen Platz und griff nach Koffer Nummer zwei. Hier erwartete sie ein ähnliches Stilleben, denn Richard Rush schien kein Mann zu sein, der Ordnung liebte und sie auch nicht halten konnte.
Schmutzwäsche fiel ihr entgegen. Sie stopfte sie schnell wieder in den Koffer zurück.
Im Seitenfach des dritten Koffers machte sie eine Entdeckung, die sie sofort interessierte. In einer grauen Schnellheftermappe befanden sich einige Blätter. Und auf diese Blätter waren Zeitungsausschnitte geklebt, die Nicoles Interesse stark weckten.
Die Berichte waren fünf Jahre alt.
Magier ermordet aufgefunden. Wer hat Henry Rush ermordet? Grauenvolle Bluttat in Philadelphia.
So und ähnlich lauteten die marktschreierischen Schlagzeilen der Berichte, aus denen hervorging, daß Richard Rush vor fünf Jahren noch einen Bruder gehabt hatte, der Henry Rush geheißen hatte und Magier gewesen war. Auch Magier.
Warum hob Richard Rush sich diese Zeitungsausschnitte auf? Zum Gedenken an seinen ermordeten Bruder Henry? So schätzte Nicole den Magier nicht ein.
Sie las die Berichte der Reihe nach durch.
Henry Rush, der bekannte und beliebte Magier vom Fatima Club, wurde in seiner Wohnung tot aufgefunden. Ein bisher noch unbekannter Mörder hatte ihn mit siebzehn Messerstichen getötet und war dann spurlos verschwunden. Da weder Bargeld noch Wertsachen gestohlen wurden, vermutet die Polizei einen Racheakt. Richard Rush, der Bruder des Ermordeten, der ebenfalls Magier ist, erlitt einen Nervenzusammenbruch, als er vom Tod seines Bruders erfuhr…
In dieser Weise waren nahezu alle Berichte abgefaßt.
Richard Rush hatte also einen Bruder gehabt, der ebenfalls Magier gewesen war.
Nicole blätterte um.
Da sprang ihr die nächste Sensation ins Auge.
Leiche spurlos verschwunden. Wer stahl Henry Rush's Leichnam? Geheimnisvoller Diebstahl im Leichenschauhaus.
Wie schon aus den Headlines hervorging, war Henry Rush's Leichnam ins Leichenschauhaus gebracht worden. Sein Aufenthalt hatte jedoch nur wenige Stunden gedauert. Dann hatten ihn unbekannte Diebe gestohlen. Die Polizei vermutete, daß es zumindest zwei Diebe gewesen sein mußten, denn einer allein hätte schwerlich eine
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