0008 - Ich faßte den Eisenbahn-Mörder
Stenotypistin Seemers, ein nicht mehr ganz junges Fräulein, über dreißig Jahre alt.
Wir trafen sie in ihrem möblierten Zimmer. Sie lud uns zu einem Likör ein, den wir aus Höflichkeit nicht ablehnten, obwohl uns das süße Zeug schüttelte. Als wir auf Seemer zu sprechen kamen, begann sie zu weinen. Ich hatte den Verdacht, daß sie ein wenig in ihren Chef verliebt gewesen war.
»Wenn Sie uns sagen könnten, mit wem Sie über die Absichten Ihres Chefs gesprochen haben, könnte uns das vielleicht weiterhelfen«, bat ich vorsichtig, als sie sich ausgeheult zu haben schien.
Sie blitzte mich empört an.
»Ich habe mit niemanden über geschäftliche Dinge gesprochen.«
»Miss Coster, jeder Mensch hat irgendwen, mit dem er sich darüber unterhält, was er am Tag erlebt hat. Sie brauchen ja nichts Genaues gesagt zu haben. Es genügt vielleicht, wenn Sie äußerten, daß Ihr Chef morgen nach Atlanta fährt, und daß Sie froh seien, sein Gesicht acht Tage nicht zu sehen.«
Sie zerknüllte ihr Taschentuch zwischen den Händen.
»Vielleicht habe ich mal mit Frank darüber gesprochen«, gestand sie schließlich.
»Wer ist Frank?«
»Mein Bräutigam.«
»Wie heißt er mit vollem Namen?«
»Frank Nees.«
»Bitte erzählen Sie uns, was für ein Mann er ist.«
Statt dessen heulte sie wieder. Und im Verlauf der nächsten Stunde erfuhren wir, unterbrochen von manchem Schluchzen, die Geschichte ihrer Liebe zu Frank Nees.
Es war die typische Story des alternden Mädchens. Dieser Mr. Nees hatte sich vier Wochen vor dem Mord im Miami-Expreß an die Stenotypistin herangemacht. Wenn ich ihn mir nach Miss Costers idealisierender Beschreibung richtig vorstellte, dann war er so ein geschniegelter, gelackter Faulenzer, einer von diesen Vorstadtherzensbrechern, denen zum Heiratsschwindel nur die Intelligenz fehlt. An die drei Wochen hatte er dem ältlichen Mädchen den Verliebten vorgespielt, dann, eines Tages, ließ er sich nicht mehr sehen.
»Kennen Sie seine Anschrift?«
»88. Straße Nr. 54 bei Mrs. Tank.«
»Haben Sie ihm erzählt, daß Mr. Seemer zum Pelzeinkauf nach Atlanta reist?«
Wir mußten einen neuen Tränenwasserfall abwarten, bevor wir Antwort erhielten.
»Es mag sein. Er beschwerte sich oft darüber, daß ich wenig Zeit für ihn hätte, wegen der Überstunden, und ich sagte ihm sicherlich, daß ich das Geschäft früher verlassen könnte, sobald Mr. Seemer verreist sei.«
»Nannten Sie einen genauen Termin?«
»Ja.«
Das war alles, was wir wissen wollten. Eine halbe Stunde später klopften wir an die Tür von Mrs. Tank im Haus Nr. 54 in der 88. Straße. Sie war eine kleine rundliche Frau mit weißem Haar.
»Sie vermieten Zimmer, Mrs. Tank?«
»Ja, ich bin dazu gezwungen. Ich bin Witwe. Wünschen Sie einen Raum? Es ist etwas frei.«
»Vielen Dank. Wir möchten nur einen Frank Nees sprechen, der bei Ihnen wohnen soll.«
»Er ist aber im Augenblick nicht da.«
»Wann kommt er zurück?«
»Gewöhnlich gegen fünf Uhr. Das wäre in einer Stunde.«
»Wir kommen wieder. Guten Tag, Mrs. Tank.«
Draußen auf der Straße sagte ich zu Phil: »Am besten warten wir gleich auf ihn. Wenn die Frau ihm erzählt, daß wir ihn suchen, türmt er am Ende sofort.«
Wir schlenderten langsam die Straße entlang, besahen die Schaufenster und hielten den Eingang zum Haus Nummer 54 im Auge.
An einem Fotoladen sagte Phil: »Sieh dir die Schmalfilmkamera an. Das Modell wünsche ich mir schon lange. Ich geh mal rein und frage, was sie kostet.«
Ich wartete draußen, während Phil mit dem Händler verhandelte. Plötzlich flog mir der Hut vom Kopf, es gab ein leises Klirren, ein böses Zwitschern, und die Schaufensterscheibe hatte ein rundes schönes Loch.
Ich wirbelte um meine Achse. Dicht am Bordstein zischte ein dunkler Wagen, eine Limousine vorbei. Ich riß den Revolver aus der Halfter, aber schon hatte der folgende Wagen das Ziel verdeckt, denn die Autos schoben sich in dickem Strom durch die 88.
Ich sprang an den Bordstein. »Stoppen!« schrie ich dem nächsten Wagen zu. Statt dessen gab der Fahrer Gas. Wahrscheinlich erschreckte ihn der Revolver in meiner Hand.
Jemand packte mich von hinten am Rocksaum. Ganz instinktiv fuhr ich herum und schlug zu, bevor ich noch hingesehen hatte. Es war ein Mann in einem weißen Kittel. Ich traf ihn mäßig vor die Brust, aber es genügte, daß er sich aufs Pflaster setzte.
Da saß er nun und schrie: »Hilfe! Überfall! Hilfe!«
Phil jagte aus dem Laden, ebenfalls die Kanone in
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