0009 - Der Hexenmeister
den anderen getrennt und in einem langen Elendszug den Berg hinuntergeführt in das verwaiste Dorf Pelote.
Immer wieder schauten sich die klagenden Kleinen um. Aber der Bergwald verhüllte gnädig, was sich vor der Basilika abspielte.
Wie die Wahnsinnigen fielen die Landsknechte des französischen Königs über die Menschen her. Jeder aus der Bande der Soldateska hatte sein eigenes Rezept, das Opfer vom Leben zum Tode zu bringen.
Dann zerstörte die Truppe die Kirche. Die Außenmauern wurden – soweit sie nicht dem Brand zum Opfer gefallen waren – geschliffen.
Einen der Albigenser aber sparte sich der Hauptmann der Söldnertruppe bis zum Schluß auf. Es war kein anderer als Manasse. Sein magerer Körper steckte in einer Art Büßergewand. Die Füße waren bloß.
Man hatte ihm die Hände auf den Rücken gebunden.
Ein Dominikaner fragte den Delinquenten, ob er abschwören wolle.
Manasse hob das Haupt. Sie hatten ihn gezwungen, vor dem Mönch niederzuknien. Manasse spie aus. Dann rief er mit Donnerstimme: »Ich werde euch verfolgen und quälen bis an euer Lebensende! Und wenn eure Kinder leiden, so verdanken sie es euch! Denn ich werde niemals Ruhe geben. Wir Albigenser bestehen auf dem unversöhnlichen Dualismus zwischen Leib und Seele. Meinen Körper könnt ihr zerstören, meinen Geist nicht. Und wenn ihr mich zehn Klafter tief unter der Erde verscharrt und noch einen dicken Felsstein über mein Grab wälzt – ich komme wieder! Ich verschreibe meine Seele dem Teufel! Ich gehe den Pakt mit dem Satan ein! Ihr habt uns erschlagen unseres Glaubens wegen – ihr werdet an uns glauben müssen, wenn euch euer Leben lieb ist. Ich werde euch heimsuchen bis ins dritte Glied! Eure Kinder und Kindeskinder werden euren Namen verfluchen, weil ihr diese Not über sie gebracht habt. Meine Rache wird furchtbarer sein als alles, was die Welt je erlebt hat. Ich beschwöre den Namen Luzifers und aller Teufel der sieben Höllen! Ich gelobe…«
In diesem Augenblick trat ein Soldat hinzu und durchbohrte den Mann mit seinem Schwert.
Entsetzt wichen die Bewaffneten zurück, denn es trat kein Blut aus der Wunde. Da versuchten sie den Albigenser in Stücke zu schlagen.
Aber ihre Waffen wurden stumpf.
Auf jede erdenkliche Art versuchten die Landsknechte, Manasses Leichnam zu zerteilen. Es gelang ihnen nicht. Und als sie ihre Hunde heranbrachten, damit sie den Toten zerrissen, wichen die Tiere ängstlich knurrend zurück.
Da stürzten sie Manasse in einen Brunnen, den sie mit Feldsteinen füllten. Sie schlossen die Öffnung mit einer Falltür und verriegelten sie. Sie wußten nicht, ob sie ihn halten konnten.
Die Soldaten zerstörten die Reste der Basilika und machten, daß sie fortkamen. Nur einer der Dominikaner, ein ernster junger Mann, blieb allein zurück.
Er hockte auf einem Stein in der Nähe des zugeschütteten Brunnens und las im Schein einer Fackel ein dickes Buch. Der Mond war aufgegangen. Im Dorf schlugen wimmernd die Kirchenglocken an.
Aus der Erde aber drang ein dumpfes Poltern. Ein überirdisches Licht umgab Manasses unheimliches Grab.
Der Dominikaner kniete nieder und betete.
Und Manasse erhob sich aus seinem Grab, wie er es gesagt hatte.
Seine Augen glühten in einem verzehrenden Feuer. Unaufhaltsam schritt er auf den zitternden Mönch zu.
Der Dominikaner rief alle Heiligen an. In letzter Not riß er das Kreuz hoch, das an einer silbernen Kette um seinen Hals hing. Er streckte es dem Verdammten entgegen und nannte den Namen der Dreifaltigkeit. Das wirkte.
Manasse blieb ruckartig stehen. Er stöhnte wie in Todesqual. Das Fleisch, das seine toten Gebeine umgab, fiel von ihm ab. Er verdorrte wie ein abgeschnittener Zweig und verfiel rasend schnell.
Der Dominikaner dankte seinem Schöpfer. Er trat näher und berührte Manasse, der – skelettiert, eine wüste Erscheinung – hoch aufgerichtet vorm Brunnen stand, aus dem er entkommen war.
Der Mönch schrie auf.
Der Geruch verbrannten Fleisches verpestete die Luft. Entsetzt starrte der Mann auf seinen Arm. Er war bis zum Gelenk verkohlt.
Auf dem Stumpf zeigte sich das Bildnis einer weißen Schlange, die den Erdball umschlingt und triumphierend züngelt.
Manasse streckte die Totenhand aus.
Der Dominikaner floh. Er ließ seine Kutte in den Händen des Gerippes. Er jagte den Berg hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Manasse aber ging zu seinen Getreuen, die unter entsetzlichen Qualen gestorben waren. Er berührte sie. Ihr Fleisch verfiel. Er trug die
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