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0009 - Der Hexenmeister

0009 - Der Hexenmeister

Titel: 0009 - Der Hexenmeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
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das tagelange Murmeln von Gebeten und Beschwörungsformeln – das tut seine Wirkung.«
    »Ich nehme das keineswegs auf die leichte Schulter. Auch wenn ich nur schwer daran glauben kann«, versicherte Nicole Duval. »Ich habe mich mit Zen-Buddhismus befaßt. Dort gibt es ähnliche Verfahrensweisen. Der Mensch verändert sich. Er reinigt sich. Die Katharer des Languedoc haben sich deshalb diesen Namen gegeben. Wie Sie wissen, kommt er von dem griechischen Wort Katharsis, was Reinheit und Reinigung bedeutet. Soviel habe ich von Bill Fleming schon gelernt. Und die Albigenser hielten es ähnlich. Nur die ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹ hat dieses Spiel pervertiert und damit in sein Gegenteil verkehrt.«
    »Dafür sind sie um so mächtiger«, nickte Odile Blanche düster.
    Sie hatte ein hübsches, ebenmäßiges Gesicht. Sie war eine Schönheit. Und doch lag ein Schatten über ihrem jungen Leben, den andere schwerlich ertragen hätten.
    Langsam neigte sich der Tag seinem Ende zu. Die Schatten wurden länger. Die schwarzen Flecken dort im Grün der Bergwälder verschmolzen mit ihrer Umgebung.
    Jetzt begannen die Stunden der Angst für die Dorfbewohner. Manasse und seine Mysterienbrüder beherrschten das Land, ohne jemals die scheußliche Ruine zu verlassen. Immer wieder zogen sie Unschuldige in ihren Bann, töteten sie, nahmen sie auf in die »Loge der Verzehrenden Wahrheit« oder ließen sie laufen, um sich Helfershelfer zu sichern in dieser Welt. Und jeder fürchtete, eines Tages könne es auch ihn erwischen.
    Daher besprengten die Einwohner Türen und Fenster mit geweihtem Wasser, vertrauten der Allmacht der Mandragora, der geheimnisvollen Alraune, die gegen den Einfluß des Satans wappnet und schützt. Sie saßen in ihren Stuben, lauschten ängstlich den Geräuschen der Nacht, ertrugen das plötzliche Anschlagen der Kirchenglocken und die gregorianischen Gesänge, die vom Berg herabwehten wie das Seufzen und Klagen verlorener Seelen.
    ***
    Nackte, skelettierte Knochenfüße schlurften über Steinplatten. Leere Mundhöhlen leuchteten in einem grünlich phosphoreszierenden Licht. Viele fleischlose Leiber wiegten sich in einem makabren Reigen.
    Bill Fleming lag auf einem schwarzen Basaltstein. Schwere Eisenreifen hielten seine Glieder gefangen. Er war festgeschmiedet auf dem Opferaltar der ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹.
    Vor ihm brannte in einer Schale das ewige Feuer. Die flackernden, züngelnden Flammen entrissen bleiche Totenschädel der Finsternis.
    Das Totenbuch lag aufgeschlagen vor Manasse, der die erdbraune Kapuze seiner Kutte zurückgeschlagen hatte.
    Wenn er sich zur Gemeinde wandte, erkannte der Amerikaner am dritten Halswirbel der Skelette eine gallertartige Masse, einen Klumpen von Nerven, magischer Sitz des Lebensrestes, der in diesen Totengebeinen wirkte wie ein Strahlenfeld.
    Der Singsang der Kapuzenmänner lullte die Sinne des Gefesselten ein, betäubte ihn.
    Es fiel kein einziges Wort, und doch erhielt der Amerikaner eine Lektion in Geschichte und Bedeutung der ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹, wie sie umfangreicher und genauer kein Geschichtsbuch enthalten konnte. Er schöpfte – auf intuitivem Wege – direkt aus der trüben Quelle dieser christlichmanichäischen Sekte, die ihre Lehre vom Balkan über Südeuropa verbreitet hatte. Bis die Inquisition im dreizehnten Jahrhundert ihr Einhalt geboten und die Anhänger vernichtet hatte.
    Aus rotem Nebel löste sich ein Reiter mit Brustpanzer, der auf einem weißen Pferd saß und die Fahne mit der französischen Lilie in der gepanzerten Faust hielt. Der Mann war ziemlich jung. Er war eine rechte Konquistadoren-Erscheinung.
    Neben ihm stand eine Feldschlange, ein mittelalterliches Geschütz, das die Mündung drohend auf eine Bronzetür richtete, offenbar das Portal einer Kirche. Königliche Truppen bildeten Spalier.
    Ein Trompeter blies das Signal.
    Die hohe Kirchenpforte schwang zurück.
    Geleitet von einer Schar römischer Patres erschien eine verstörte Gemeinde. Männer, Frauen und Kinder.
    Auf dem freien Platz vor der Basilika wurden die Leute zusammengedrängt wie eine Herde Schafe. Auf ein roh gezimmertes Podest stieg ein Mönch und verlas das Urteil. Als er die Rolle zusammenfaltete, gab der Trompeter das zweite Signal.
    Mehrere Männer aus der Schar der Albigenser wurden herausgegriffen, offenbar die Anführer der Sekte. Soldaten schleiften sie zum Blutgerüst. Sie wurden entkleidet und gepfählt.
    Dann wurden die kleineren Kinder von

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