0009 - Der Hexenmeister
ins Dorf«, schlug Zamorra vor. »Wir wissen nun, daß wir Nicole Duval nicht im ersten Ansturm befreien können, erst recht nicht meinen Freund Bill Fleming. Dies ist nicht die richtige Stunde. Ich versuche es morgen bei Tagesanbruch. Dann ist Manasse und die teuflische Schar ziemlich hilflos. Tageslicht scheut dieses Gesindel. Es lähmt die Mysterienbrüder. Nur nachts, insbesondere in mondhellen Stunden, vermögen sie ihre verbrecherischen Aktivitäten zu entfalten.«
»Wie stellen Sie sich das vor?« fragte Valadin. »Woher sollen wir eine Trage bekommen?«
Zamorra lächelte nur.
Er suchte zwei starke, etwa gleichlange Stangen und zog seine Jacke aus. Er knöpfte sie um die Trageholme. Odile Blanche nahm Platz. Valadin stellte sich an das hintere Ende. Auf Kommando hoben die beiden Männer die Last an und setzten sich in Bewegung.
Es wurde ein langer, beschwerlicher Marsch, und die Lichter von Pelote schienen nie näher zu rücken. Aber im Morgengrauen hatten sie es geschafft. Aufatmend durften sie die Last absetzen.
Sie schafften Odile Blanche in ihr Haus.
Neugierig schaute sich der Bürgermeister um. Er hatte dieses Gebäude noch nie betreten. Der Fluch, der auf dem Geschlecht der Blanches lastete, hatte Odile in der Dorfgemeinschaft völlig isoliert.
Niemand sprach mit ihr, niemand half ihr. Lebensmittel, die sie benötigte, mußte sie auf dem Tauschwege erwerben und baute sie in ihrem kleinen Garten selbst an.
»Wenn ich nicht mehr gebraucht werde…«, murmelte Vincent Valadin.
»Ich bewache das Mädchen. Noch ist Manasse nicht machtlos. Ich fürchte, er versucht vor Sonnenaufgang noch einen neuen Angriff. Er weiß, daß es um Sein oder Nichtsein geht«, sagte Professor Zamorra.
Ungläubig schüttelte Valadin den Kopf.
»Dann hätte er uns doch unterwegs abfangen können, als wir unbeweglich waren und das Mädchen transportierten«, sagte der Maitre von Pelote.
Professor Zamorra wußte zunächst nicht, was er darauf erwidern sollte. Valadin konnte nicht wissen, daß Zamorra der Träger des silbernen Amuletts Leonardo de Montagnes war, jenes magischen Talismans, der eine mächtige Waffe war gegen Dämonen und andere schwarzblütige Kreaturen. Manasses Schergen mußten die Ausstrahlung der handtellergroßen Silberscheibe spüren, die Zamorra an einem Silberkettchen unter dem Hemd trug. Diese magische Ausstrahlung hatte sie wohl bisher vor einem direkten Angriff zurückschrecken lassen.
Aber Zamorra war sich auch klar, daß das nicht ewig so bleiben würde.
»Ich sagte Ihnen schon«, sagte Zamorra schließlich zu dem Bürgermeister, »daß ich gegen Manasse eine besonders kräftige Medizin habe. Die wird er mit Sicherheit nicht verkraften!«
»Sie wollen es wirklich wagen, sich diesem Ungeheuer zum Kampf zu stellen?« fragte Valadin noch immer ungläubig. Er zitterte bei dem Gedanken, Zamorra könnte ihn abermals auffordern, ihn zu begleiten. Valadins Bedarf an Abenteuern war für den Rest seines Lebens gedeckt.
»Ja, ich wage es. Und zwar allein«, erlöste Zamorra den Bürgermeister aus aller Qual. »Sollte etwas schiefgehen, findet Manasse ein neues Opfer. Mehr nicht. Und ich bin es meinen Freunden schuldig, alles zu unternehmen, was in meiner Macht steht, um sie aus den Klauen des schwarzen Abts zu befreien.«
Valadin verabschiedete sich.
Odile Blanche aber erhob sich, humpelte auf Zamorra zu und küßte ihn.
»Wenn einer es schaffen kann, dann Sie, Monsieur«, hauchte das Mädchen. »Befreien Sie Pelote von diesem schrecklichen Fluch.«
Zamorra versprach es.
Dann ging er in die Küche, um Odiles Fußwickel zu erneuern. Er mußte ihr das verletzte Fußgelenk ständig kühlen.
Auf halbem Wege ließ ein gellender Schrei Zamorra herumwirbeln. Er rannte zurück.
Grinsende Totenschädel lugten ins Zimmer, nur durch eine dünne Glasscheibe von ihrem Opfer getrennt. Gespensterreiter bewegten ihre mumifizierten Schindmähren auf der nahen Wiese, galoppierten durch Nebelschwaden und schwangen ihre tödlichen Sensen.
Durch die Wand aber kam eines der scheußlichen Gerippe, einen Morgenstern schwingend. Die stachelbewehrte Kugel an kurzer Kette, die in einem Eisenring am oberen Ende einer kurzen Keule saß, klapperte drohend. Bleiche Knochen knirschten bei jeder Bewegung.
Der Kerl schien keine Hindernisse zu kennen. Unaufhaltsam schob er sich näher, die mörderische Waffe zum Schlag erhoben.
In letzter Sekunde riß Zamorra sein magisches Amulett unter dem Hemd hervor, streifte sich die
Weitere Kostenlose Bücher