0009 - Im Würgegriff der roten Masken
glauben, daß die Statue tatsächlich verschwunden war.
John Sinclair reagierte da realistischer. »Wie ist es dazu gekommen?« fragte er. »Oder wie war so etwas überhaupt möglich? Ihr Museum wird doch bewacht.«
Hartland breitete theatralisch beide Arme aus. »Die Statue sollte restauriert werden. Sie ist in das dafür vorgesehene Atelier geschafft worden.«
»Und wird der Raum nicht bewacht?« forschte John.
»Doch, das schon, aber…« Der Museumsdirektor hob die Schultern. »Ich weiß auch keine Erklärung.«
John Sinclair schoß die nächste Frage ab. »Wer wußte davon, wie wertvoll die Statue ist?«
»Fast alle.«
»Was heißt das?«
»Alle diejenigen, die hier im Museum beschäftigt sind.«
»Das heißt, unter Umständen auch die Putzfrauen und Büroangestellten«, resümierte John.
Hartland nickte.
»Haben Sie denn schon mit den Leuten gesprochen?«
»Ja. Aber niemand hat etwas Verdächtiges bemerkt. Auch nicht der Nachtwächter. Die Diebe haben sich gut ausgekannt. Die Alarmanlage ist außer Betrieb gesetzt worden. Es kommt meiner Meinung nach nur jemand in Frage, der hier Bescheid weiß.«
»Haben Sie einen Verdacht?« Der Geisterjäger wurde jetzt direkt.
»Nein.« Hartland blickte den Oberinspektor so naiv an wie ein sechsjähriges Kind den Nikolaus.
Dem ist nicht zu helfen, dachte John. Und ausgerechnet mir muß man diesen Fall aufbrummen. Trotzdem fragte er weiter. »Wer ist der Restaurator der Statue?«
»Das bin ich!«
John war überrascht. »Läßt Ihre Zeit das denn zu, Dr. Hartland?«
»Ja. Die Verwaltungsarbeiten erledigt einer meiner Angestellten. Ich gelte als ein Experte für ägyptische Kunst. Und gerade diese Statue interessiert mich besonders.«
»Erzählen Sie mal etwas darüber.«
Der Museumsdirektor bekam glänzende Augen. Wenn ihn jemand nach seinem Spezialgebiet fragte, dann wuchs er über sich selbst hinaus. »Die Octupus-Statue stammt noch aus dem Alten Reich der Ägypter. Damals, als die ägyptische Wissenschaft erst in ihren Geburtswehen lag, hatte die Magie ihre große Zeit. Später haben sich dann Naturwissenschaft und Magie miteinander vermischt. Aber das ist ein anderes Thema. Octupus war einer der finsteren Götter. Die Legende berichtet vom Frühvampirismus. Octupus soll ein Vampir gewesen sein. Es gab Priesterkasten, die nur ihm dienten, ihm Blutopfer darbrachten und junge, unschuldige Mädchen zuführten. Von deren Blut hat er dann gelebt. Schließlich gelang es einem Pharao mit viel List und Tücke, ihn zu seinem Hof kommen zu lassen. Und dort ist er dann gepfählt worden. Er ist aber nicht zu Staub zerfallen wie die alten Vampire aus dem Balkan, sondern wurde zu Stein. Octupus war wohl zu mächtig. In ihm mußte ein gewaltiger Zauber gelebt haben. Die Ägypter haben die Statue dann in einem Grab tief unter der Erde versteckt. Sie haben das Grab mit weißmagischen Zeichen gesichert und Octupus geriet in Vergessenheit. Vor Jahren fiel durch Zufall ein Papyrus in meine Hände, auf dem über Octupus berichtet wurde. Ich war fasziniert, forschte nach, stellte eine Expedition zusammen und suchte das Grab. Ich fand es. Und auch die Statue. Ich brachte sie nach England und stellte sie in mein Museum. Und gestern nacht ist sie mir gestohlen worden. Das ist in groben Zügen die Geschichte der Statue.«
John Sinclair nickte. »Sie haben von einem Fluch gesprochen, Dr. Hartland«, sagte er. »Glauben Sie, daß noch das Böse in der Statue steckt, und daß es unter Umständen befreit werden kann und Unheil anrichtet?«
»Sie denken da an den rätselhaften Fluch der Pharaonen?« erkundigte sich Hartland.
»Nicht ganz.«
Der Museumsdirektor lehnte sich zurück. Sein Blick schweifte über John Sinclair hinweg und fiel auf die hohen Bücherregale, die einen Teil der Wände bedeckten. »Ich will Ihnen was sagen, Mr. Sinclair. Dieser Pharaonenfluch ist für mich existent. Und ich halte auch die Magie der alten Ägypter für eine durchaus ernstzunehmende Sache. Und wenn Sie mich nun fragen, ob in der Statue ein böser Geist wohnt, dann würde ich mit einem zögernden Ja antworten.«
»Sehen Sie eine Gefahr?«
Dr. Hartland wich aus. »Es kommt darauf an, in wessen Besitz sich die Statue jetzt befindet.«
»Dann waren es unter Umständen keine Zufallsdiebe«, folgerte John Sinclair, »sondern die Statue wurde auf einen besonderen Auftrag hin gestohlen.«
»Diese Möglichkeit schließe ich nicht aus«, gab Dr. Hartland zu.
»Wie genau kennen Sie Ihre
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