001 - Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus
Durch das Fehlen des Siegels, das erbrochen worden
war, würde für die Polizei ein großes Rätselraten beginnen.
Larry begriff nur zu leicht, wie schnell er nun in falschen Verdacht
geraten konnte. Die Verhöre, die langwierigen Untersuchungen waren sehr
zeitraubend. Er war der Polizei jedoch im Augenblick eine größere Hilfe, wenn
er sich frei bewegen und handeln konnte.
Gleich am Morgen wollte er das Kommissariat aufsuchen. Er würde melden,
dass er entdeckt hatte, dass das Zimmer neben ihm vom Polizeisiegel befreit
worden war – und nichts weiter sonst. Alles andere war im Augenblick unwichtig.
Parkers Aufzeichnungen befanden sich im Geheimfach des Koffers des Toten.
Dieses Geheimfach war schwer zu finden. Es überraschte ihn, dass der hagere
Eindringling das Fach sehr schnell gefunden und geöffnet hatte.
Da stieg eine ungeheuerliche Vermutung in Larry Brent auf. Der andere
musste – genau über Inhalt und Anlage des Koffers informiert sein!
Aber das war doch überhaupt nicht möglich.
Vielleicht ein Zufall?
Der Gedanke beschäftigte ihn, obwohl er sich bemühte, ihm nicht
nachzuhängen.
Er ließ Badewasser einlaufen und erfrischte sich. Dann blieb ihm nichts
anderes übrig, als abzuwarten, bis die Geschäfte öffneten. Larry Brent
bestellte sich telefonisch einen neuen Anzug, zwei neue Hemden, ein Paar Schuhe
und einige andere notwendige Artikel.
Während er auf die Lieferung wartete, ließ er sich das Frühstück aufs
Zimmer bringen. Nur mit einem Badetuch bekleidet, das er sich um die Hüften
geschlungen hatte, aß er. Dann brachte man ihm auch schon die bestellten
Sachen. Der Portier nahm durch die nur spaltbreit geöffnete Tür den Scheck
entgegen.
Larry zog sich rasch an. Er fühlte sich nach Bad und Frühstück frisch und
voller Unternehmungsgeist.
Er warf einen Blick in den Spiegel. Außer einigen Kratzern von den scharfen
Krallen der Vampirfledermaus waren keine Spuren von den Ereignissen der
vergangenen Nacht zurückgeblieben.
Dann verließ er das Zimmer und schloss es vorschriftsmäßig ab. Er warf
einen Blick auf die Tür mit der Nr. 116. Schon wollte er daran vorübergehen,
als es wie ein Ruck durch seinen Körper ging.
Alles in ihm sträubte sich gegen das, was er sah.
Das polizeiliche Siegel klebte wieder vorschriftsmäßig auf der alten
Stelle!
●
Der Mann war groß und hager. Er ließ sich vom Lift aufwärts tragen. Das
Zimmer, in dem sein Begleiter wohnte, lag im siebten Stockwerk.
Das Hotel De Fleurs war ein neuer Bau. Er stand noch keine drei Jahre. Das
moderne Hochhaus lag nur knapp fünfhundert Meter vom Le petit Jardin entfernt.
Als der Hagere den Lift verließ, konnte er gerade durch das breite Panoramafenster
den Verlauf der Straße verfolgen, und er sah auch durch die Höhe dieses
Gebäudes die Umrisse des kleineren Hotels Le petit Jardin.
Bony lächelte kaum merklich, als er den Gang hinunterging.
Es war kein frohes Lächeln. Er war ein zweites Mal im Le petit Jardin
gewesen. Das war ärgerlich. Doch diesmal hatte es wenigstens geklappt. Der
Fremde aus Zimmer 117 hatte ihn nicht bemerkt.
Das Rauschen des einlaufenden Wassers hatte die anderen Geräusche
geschluckt. So war es ihm gelungen, alle notwendigen Unterlagen aus dem
Geheimfach des Koffers zu nehmen und danach das zuvor abgelöste Siegel
vorsichtig wieder anzubringen.
Bony klopfte nicht an, als er das Zimmer betrat. Leise drückte er die Tür
hinter sich ins Schloss. Vor ihm, neben dem zugezogenen Vorhang, saß ein Mann
in fast weißem Sommeranzug.
Das war – David Gallun.
Er trug eine dunkle Brille. Der Mann hob nicht den Kopf, als Bony eintrat.
Er konnte Bony nicht sehen. X-RAY-1 war blind. Doch Gallun fühlte Bonys
Stimmung wie eine körperliche Empfindung, und unwillkürlich tastete seine
Rechte nach der langen, schmalen Narbe, die längs seines Nackens hinablief und
sich über den Haaransatz fast bis zur Mitte des Kopfes fortsetzte.
»Ich spüre, dass etwas schiefging, Bony«, sagte Gallun mit leiser Stimme.
»Wie konnte das passieren?«
Bony erstattete seinem Herrn Bericht.
X-RAY-1 hörte aufmerksam zu. Seine Züge sahen müde aus. Während des Fluges
über den Ozean hatte er nicht geschlafen. Ständig hatte er sich mit dem Fall
beschäftigt, auf den er Henry Parker angesetzt hatte.
Nach seiner Ankunft im Hotel De Fleurs hatte er auch noch keine Zeit
gefunden, etwas zu ruhen. Alles hatte vorbereitet werden müssen, um die
Unterlagen aus Parkers Zimmer so schnell wie möglich zu
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