0010 - Der endlose Tod
»Vater!« Sie griff nach seiner Hand, die kalt und feucht auf dem Laken ruhte. »Vater!«
Seine Augen füllten sich plötzlich mit Furcht. Sie nahmen einen verzweifelten, flehenden Ausdruck an. Es schien, als erlitte er schreckliche Seelenqualen. »Susan!« stieß er rauh hervor. Das Mädchen erkannte seine Stimme nicht wieder. »Susan, ich befinde mich im Banne eines Dämons!«
»O Gott, nein!« schrie Kochs Tochter entsetzt auf.
»Susan, du mußt mir helfen!«
»Wie Vater? Wie denn?«
»John Sinclair!« keuchte Hannibal Koch in Schweiß gebadet. Er zitterte wie Espenlaub. »Du mußt ihn von seinem Vorhaben abbringen. Hörst du? Du mußt ihn daran hindern, den Hort des Bösen zu suchen und zu betreten, sonst habe ich diesen Frevel zu büßen!«
Hannibal Kochs Körper bäumte sich wie unter den Stromschocks wild auf. Dann lag er wieder still, starrte teilnahmslos zur Decke, war nicht mehr ansprechbar. Susan fuhr sich erschüttert an die bebenden Lippen. Ihr Vater im Banne eines Dämons. Und wenn John Sinclair diesen Dämon attackierte, mußte Hannibal Koch das büßen. Das Mädchen weinte ohne Tränen. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so ratlos gewesen wie jetzt.
***
John gefror das Blut in den Adern. Sukos Schrei war ihm durch Mark und Bein gedrungen. Mit langen Sätzen hetzte er um den Bentley herum, und da sah er, was passierte: einer der Bäume war von unseligem Leben erfüllt worden. Knisternd und knackend streckte er seine starken Äste nach dem Chinesen aus. Ächzend wanden sich Zweige wie Schlangen um seinen muskulösen Leib. Wie von Sinnen schlug Suko um sich.
Der starke Ast, der sich um Sukos Hals gelegt hatte, drückte dem Chinesen die Luft ab. Sukos Gesicht begann sich zu verfärben. Wie ein riesiger Polyp umfing das Baummonster John Sinclairs Freund mit immer mehr Astarmen. Der lebende Baum wollte Suko an seinen Stamm ziehen und ihm das Leben aus dem Leib pressen.
Dazu durfte es nicht kommen.
Sukos Bewegungsfreiheit wurde immer stärker eingeschränkt. Seine Hände wurden von den biegsamen Zweigen umschlungen und festgehalten. Auch um seine Beine schlangen sich raschelnde Zweige.
John eilte seinem Freund augenblicklich zu Hilfe. Er riß sein Springmesser aus der Tasche und schnitt einige dünne Zweige ab. Blut tropfte von den Schnittstellen. Von oben pfiffen Äste wie Peitschen auf Johns Rücken herab. Klatschend landeten sie auf seinen Schulterblättern. Ein wahnsinniger Schmerz durchraste ihn, aber er kämpfte verbissen weiter um das Leben seines Freundes.
John schnitzte blitzschnell drei Zeichen der Weißen Magie in jenen Ast, der um Sukos Hals lag und den Chinesen zu erdrosseln drohte. Noch in derselben Sekunde brach der Ast, der auf der Stelle ausgetrocknet war, knirschend ab. Suko bekam wieder Luft. Doch schon griff der nächste Fangarm nach seiner Kehle. John Sinclair versuchte, das Baummonster endlich in seine Gewalt zu bekommen.
Der Geisterjäger brüllte aus vollen Lungen einen Bannspruch. Daraufhin schnellten die Äste und Zweige zitternd zurück. John hieb mit seinem Messer wie verrückt um sich und kämpfte sich atemlos an den breiten, rissigen Stamm des Baumes heran.
Einen weiteren Bannspruch rief John und ritzte mit seiner Messerklinge dieselben Zeichen der Weißen Magie, mit denen er schon einmal erfolgreich gewesen war, in die unebene Rinde. Daraufhin wurde der Baumstamm mit einem Schlag so weich wie der Körper eines Menschen. Die Rinde nahm eine milchige Färbung an, wurde durchsichtig und John Sinclair sah dahinter ein blutrotes Herz zucken.
Sofort stieß er zu.
Die Klinge sauste unaufhaltsam in den Baum, so als wäre sie über einer Flamme erhitzt worden und führe nun durch einen Butterziegel. Als John Sinclair sein Messer aus dem Baum herausriß, huschte ein geisterhafter Seufzer durch das Geäst. Von einer Sekunde zur anderen trocknete der Stamm aus. Der ganze Baum verdorrte. Man konnte dabei zusehen, so schnell ging es. Es regnete welke Blätter, und die traurig herabhängenden Äste und Zweige ließen erkennen, daß sich kein Leben mehr in diesem Baum befand.
Suko trat mehrere Schritte von dem Baum weg.
Er massierte sich wütend die Kehle. »Verdammt!« stieß er heiser hervor. »Wie viele Trümpfe hat dieser Curro denn noch in der Hand?«
Da hallte ein gellendes Gelächter durch den finsteren Wald. Spöttisch, triumphierend, dämonisch jagte es über die Baumwipfel davon. John konnte nicht leicht etwas erschüttern, aber diesmal bekam er die
Weitere Kostenlose Bücher